junge Welt, 02.05.2000

Türkei foltert abgeschobene Kurden

Flüchtlingsrat und Pro Asyl belegen neue Fälle von Mißhandlungen

Abgeschobene Kurden werden in der Türkei nach wie vor gefoltert. Das belegen neue Recherchen des Niedersächsischen Flüchtlingsrates und von Pro Asyl. Die beiden Organisationen sind in den vergangenen Monaten 13 Fällen nachgegangen, in denen aus Deutschland ausgewiesene kurdische Asylbewerber von türkischen Sicherheitskräften massiv mißhandelt wurden. Die Ergebnisse der Untersuchung sollen im Mai in einer Broschüre veröffentlicht werden. Zwei Kurden, deren Asylanträge in Deutschland abgelehnt worden waren, seien »gleich auf dem Flughafen festgenommen und neun Tage verhört und mißhandelt« worden, heißt es in dem jW vorliegenden Vorwort zu der Dokumentation. Nach ihrer zwischenzeitlichen Freilassung seien sie erneut verhaftet und »schwer gefoltert« worden. Die Männer würden von den türkischen Behörden beschuldigt, in Deutschland mit der PKK zusammengearbeitet zu haben, sagte Claudia Gayer vom Flüchtlingsrat.

Eine weitere abgeschobene Kurdin sei von türkischen Polizisten in der Stadt Antalya aus einem Reisebus geholt, zur Anti-Terror-Abteilung gebracht und dort unter Folter verhört worden. Die Beamten hätten sie dabei auch über »Kirchenaktionen« in Deutschland befragt. Dieser Fall bestärke Befürchtungen, daß die türkischen Strafverfolgungsbehörden ein großes Interesse an Informationen über Teilnehmer am nordrhein-westfälischen Wanderkirchenasyl hätten und den Beteiligten im Fall einer Abschiebung Verfolgung drohe, so Gayer.

Sechs nach ihrer Abschiebung in der Türkei mißhandelten Kurdinnen und Kurden sei inzwischen die neuerliche Flucht nach Deutschland gelungen, erklärte Gayer. Sie seien jetzt als politisch Verfolgte anerkannt und würden aufgrund einer vom Berliner Folteropferzentrum diagnostizierten Traumatisierung geduldet.

Die Recherchen des Flüchtlingsrates hätten zwar dazu beigetragen, daß das Auswärtige Amt in Berlin eine »etwas differenziertere Einschätzung« der Lage in der Türkei vorgenommen habe, erklärte Flüchtlingsratsgeschäftsführer Kai Weber. Politische Konsequenzen wie einen Abschiebestopp für Kurden aus der Türkei hätten die deutschen Innenminister daraus jedoch nicht gezogen. Vielmehr stellten das Bundesamt für die Anerkennung von Flüchtlingen und die Verwaltungsgerichte immer höhere Anforderungen an die Glaubhaftmachung von Verfolgungsschicksalen.

Mehr denn je, so Weber, »werden vom Bundesgericht und den Gerichten Übergriffe der türkischen Sicherheitskräfte als Exzesse Einzelner abgetan«. Gleichzeitig betätige sich Bundesinnenminister Otto Schily in der Außenpolitik und verhandele mit den türkischen Behörden über eine störungsfreie Abschiebung von Kurden.

Reimar Paul