Süddeutsche Zeitung, 2.5.2000

Türkische Präsidentenwahl

Sezer scheitert erneut

In der zweiten Runde fehlen dem Kandidaten 53 Stimmen

Ankara (AP/dpa/AFP) - Das türkische Parlament hat sich auch im zweiten Wahlgang nicht auf die Nachfolge von Staatspräsident Süleyman Demirel verständigen können. Wie schon im ersten Wahlgang verfehlte der Kandidat der Regierungskoalition, Ahmet Necdet Sezer, am Montag die notwendige Mehrheit von zwei Dritteln der Abgeordnetenstimmen. Sezer erhielt 314 Stimmen, 53 weniger als notwendig gewesen wären. Im ersten Wahlgang hatte er 281 Stimmen erhalten.

Damit wird ein dritter Wahlgang nötig, der voraussichtlich am kommenden Freitag stattfindet. Dabei reicht dann die einfache Mehrheit von 276 Stimmen. Bekommt Sezer also so viele Stimmen wie am Montag, wird er der zehnte Staatspräsident der Türkei. Sollte jedoch auch im dritten Wahlgang kein Kandidat die Mehrheit erhalten, stehen im vierten und letzten Wahlgang nur noch die beiden Erfolgreichsten zur Abstimmung. Falls auch von diesen beiden keiner die absolute Mehrheit gewinnen sollte, müssten das Parlament aufgelöst und Neuwahlen angesetzt werden. Dies gilt jedoch nach Einschätzung von politischen Beobachtern als unwahrscheinlich. Es wird erwartet, dass Sezer im dritten Wahlgang gewählt und damit Nachfolger des Staatspräsidenten Demirel wird. Demirel scheidet am 16. Mai aus dem Amt. Ministerpräsident Bülent Ecevit scheiterte im vergangenen Monat mit dem Versuch einer Verfassungsänderung, um Demirel eine zweite Amtszeit von sieben Jahren zu ermöglichen.

Sezer gilt als ein Politiker, von dem entscheidende Impulse für demokratische Reformen in der Türkei ausgehen könnten. Der 58-jährige Vorsitzende Richter des Verfassungsgerichts hat zu einer Reform der unter Kontrolle der Streitkräfte nach dem Militärputsch von 1980 eingesetzten Verfassung aufgerufen. Neben Sezer kandidierten am Montag sechs Politiker für das höchste Staatsamt. Vor der zweiten Runde hatten drei Politiker aufgegeben. Wenige Minuten vor Wahlbeginn hatte Ahmet Iyimaya von der Partei des Rechten Weges (DYP) seine Kandidatur zurückgezogen. Am Vormittag hatte Agah Oktay Güner von der Mutterlandspartei (Anap) ebenfalls verzichtet. Oguz Aygün von der Demokratischen Linkspartei (DSP) hatte am Sonntag aufgegeben.

Sezer war am Montag vor einer Woche von der Regierungkoalition des Ministerpräsidenten Bülent Ecevit überraschend als Kandidat aufgestellt worden. Am Dienstag erhielt er auch die Unterstützung der Opposition. Die Niederlage am Donnerstag hatte sich abgezeichnet, nachdem zahlreiche Abgeordnete angekündigt hatten, in der ersten Runde nicht für Sezer zu stimmen. Sie wollten damit gegen die Absprachen der Parteiführungen protestieren. Sezers Rivale Nevzat Yalcintas von der islamischen Tugendpartei (FP) hatte am Donnerstag bloß 61 Stimmen erhalten.