Der Bund (CH) 29.4.2000

Globalisierung beflügelt Drogenkartelle

DROGENHANDEL / Die unabhängige Drogenüberwachungsstelle in Paris hat ihren letzten Jahresbericht publiziert. Wegen Finanzproblemen muss sie auf Weisung eines Gerichts schliessen. In ihrem Vermächtnis prangert die Expertengruppe nicht nur die Drogenproduzenten an, sondern auch die Doppelmoral der USA und Europas.

o RUDOLF BALMER, PARIS

In seinem Jahresbericht 2000 zieht das Observatoire Géopolitique des Drogues (OGD) eine wenig ermutigende, fast zynische Bilanz: «Seitdem im Jahr 1961 die Vollversammlung der Vereinten Nationen die traditionelle Drogenproduktion (Koka, Mohn, Cannabis) feierlich verurteilte, haben die Anbauflächen, der Handel und der Konsum von Jahr zu Jahr stetig zugenommen. Das hinderte die Uno 1998 nicht anzukünden, dass bis 2008 die illegale Drogenherstellung quasi verschwinden werde.»

Spanien als Einfallstor

Zu derartigem Optimismus sehen die Mitarbeiter des OGD keinerlei Anlass. Denn der internationale Drogenhandel befindet sich dank der wirtschaftlichen Globalisierung im Aufwind. Der europäische Schengen-Raum - bestehend aus den EU-Mitgliedern, die gegenseitig die Grenzkontrollen abgeschafft haben - ist laut dem OGD-Bericht gegenwärtig «der grösste Drogenmarkt der Erde», für den Spanien die Rolle des «wichtigsten Tors für den Import von Haschisch und Kokain» spielt. Davon zeugen die Rekordmengen von Heroin und Kokain, die 1999 von Zoll und Polizei beschlagnahmt wurden. Gemäss OGD ist Spanien zudem «das Zentrum für die Geldwäsche der Kolumbianer auf dem Alten Kontinent: Sie konzentrieren dort die im restlichen Europa erzielten Profite und investieren diese massiv in Immobilien, bevor sie dann das Kapital nach Kolumbien heimschaffen.» Die EU wird ausserdem beschuldigt, sie schliesse die Augen vor der Drogenkriminalität in der Türkei, wo «politische Parteien, Mafiabanden, Geheimdienste in unterschiedlicher Weise in diese illegalen Aktivitäten und in die Geldwäsche von Drogenprofiten verwickelt sind».

Rebellen im Visier

Den USA wirft das OGD Doppelmoral im Kampf gegen Drogen vor: «Während die amerikanische Politik in Kolumbien zu einer verstärkten militärischen Intervention führte, übersieht sie in Mexiko, Bolivien, Peru, Argentinien oder Trinidad und Tobago geflissentlich die Kontakte zwischen Regierenden und Drogenhändlern, um so wirtschaftliche und politische Alliierte zu schonen.» In Kolumbien beziehen nicht nur die von der Armee unterstützten paramilitärischen Gruppen Geld aus dem Kokainanbau, sondern auch die Rebellen der Farc. Die US-Antidrogenpolitik diene in diesem Bürgerkriegsland der Verschleierung einer «selektiven Strategie der Aufstandsbekämpfung». Auch in anderen Regionen werde auf Druck der USA mit dem militärischen Kampf gegen die Drogenkartelle praktisch ein permanenter Ausnahmezustand geschaffen.

Korrumpierte Staatsapparate

Einmal mehr unterstreicht der Jahresbericht des OGD die Bedeutung der Drogenprofite in lokalen Konflikten und regionalen Kriegen. Dies gelte vor allem für Afghanistan, Kosovo, Kolumbien und Kongo. Ausserdem wird die verheerende korrumpierende Wirkung auf die Staatsapparate hervorgehoben, namentlich in Russland, der Türkei, Pakistan, Mexiko, Argentinien und Nigeria. In Afghanistan hat sich 1999 laut dem Bericht die Opiumproduktion mehr als verdoppelt: von 2200 auf 4600 Tonnen. Die islamistische Taliban-Armee kassiere durch «Steuern, die sie nicht nur auf den Opiumanbau, sondern auch auf der Heroinproduktion und dem Drogentransport erhebt», pro Jahr mindestens 25 Millionen Dollar.

Publikationen des OGD Im Internet: http://www.ogd.org Im Buchhandel: Der Welt-Drogenbericht, DTV 1993; Der Planet der Drogen: Analyse einer kriminellen Weltmacht, Fischer-Taschenbuch 1996.