Hamburger Abendblatt 29.4.2000

Maulkorb von den Revolutionswächtern

Irans Hardliner verbieten 16 Reformzeitungen - USA besorgt

Teheran- In der Kraftprobe zwischen den Reformkräften um den iranischen Präsidenten Mohammed Khatami und islamischen Hardlinern des geistlichen Oberhauptes Ayatollah Khamenei, hat es die ersten Unruhen an einer Teheraner Universität gegeben. Nach Angaben eines Augenzeugen nahmen rund 200 Studenten an einer Protestveranstaltung gegen die Massenschließungen liberaler Zeitungen durch die den Hardlinern nahe stehende Justiz teil. Es sei zu gewaltsamen Zusammenstößen gekommen, als Polizisten und Revolutionswächter die Veranstaltung auflösten. Dabei seien Steine geflogen. Die US-Regierung äußerte sich "sehr besorgt" über die Entwicklung in Iran. Washington hoffe, dass die gegenwärtige Offensive der Konservativen gegen den gemäßigten Präsidenten Khatami nicht "die bestimmende Entwicklung" sei, sagte Außenministerin Madeleine Albright. Die USA hätten den Sieg der Reformer in der ersten Runde der iranischen Parlamentswahlen am 18. Februar mit Wohlwollen betrachtet. Jetzt aber stehe das ehemalige Persien am Scheideweg. Khatami rief seine Anhänger auf, angesichts des Vorgehens der Khamenei-Anhänger Ruhe zu bewahren. "Wenn es in der Gesellschaft eine Krise gibt, sollte jeder Weisheit und Selbstbeherrschung walten lassen und im Rahmen von Gesetz und Ordnung handeln", wurde er im Fernsehen zitiert. Eine Woche vor den Stichwahlen zum iranischen Parlament waren zuvor die letzten drei Reformzeitungen geschlossen worden - darunter die vom Bruder des Präsidenten, Mohammed-Resa Khatami, herausgegebene "Moscharekat". Binnen fünf Tagen wurden damit von den Hardlinern 16 Reformzeitungen geschlossen. Durch die Zeitungsverbote haben die Reformkräfte bis zur ersten Sitzung des neuen Parlaments am 27. Mai kein Sprachrohr mehr. Möglicherweise wird die Zusammensetzung des Parlaments bis dahin sogar noch zu Gunsten der Hardliner geändert, die auch die Kontrolle über den Wächterrat haben - der wiederum für die Wahlprüfung zuständig ist. Die Reformer gewannen im Februar 70 Prozent der 290 Sitze. Zwölf Mandate wurden ihnen aber vom Wächterrat wieder aberkannt. Zudem erklärte das Gremium, das es bei der Abstimmung im Großraum Teheran Betrug gegeben habe, wo die Reformer 29 von 30 Sitzen gewannen. Entschieden hat der Rat in dieser Sache aber noch nicht. Am 5. Mai finden Stichwahlen über die Verteilung von 66 Mandaten statt. (ap/HA)

"Zu einem Bürgerkrieg wird es nicht kommen"

Teheran/Berlin - Einer der Betroffenen der Zeitungsverbote in Iran ist Firouz Gouran, Chefredakteur von Djameh-e Salem (Gesunde Gesellschaft). Mit dem Verbot des Blattes wurde ihm auch untersagt, je wieder eine Zeitschrift herauszugeben. Gouran gehört zu den Begründern des neuen Journalismus im Iran. Er wurde mehrmals inhaftiert. Die Abendblatt-Mitarbeiter Majid Roshanzadeh und Maj Zwick sprachen mit Gouran.

ABENDBLATT: Wie schätzen Sie nach dem jüngsten Verbot zahlreicher reformorientierter Zeitungen die Situation in Iran ein?

Gouran: Solche Angriffe finden schon seit längerem statt, sie haben sich jedoch nach den Parlamentswahlen und somit der Niederlage des ehemaligen Präsidenten Rafsandschani verschärft. Nach dem Attentat auf den persönlichen Berater Khatamis, Said Hadjarian, haben sie nun einen neuen Höhepunkt erreicht. Dahinter verbirgt sich vor allem die Absicht, das neu gewählte Parlament an der Aufnahme seiner Arbeit zu hindern. Um dies zu erreichen, versuchen die Konservativen, die Ereignisse zu instrumentalisieren. Die Lage wird sich verschärfen.

ABENDBLATT: Inwieweit wird sich die Situation zuspitzen: Wird es einen Zusammenstoß zwischen reformistischem und konservativem Lager geben? Ist ein Bürgerkrieg zu befürchten?

Gouran: Eine Auseinandersetzung ist höchst wahrscheinlich; zu einem Bürgerkrieg wird es aber nicht kommen.

ABENDBLATT: Über welche Möglichkeiten verfügen die Reformer, um die derzeitige Situation zu beenden? Es ist zu beobachten, dass sie versuchen, die Bevölkerung zu beruhigen, um Konfrontationen zu vermeiden.

Gouran: In Teheran werden Gerüchte verbreitet, die Reformer planten einen Angriff auf das Fernsehen, das ja bekanntlich den Konservativen untersteht. Diese Information ist falsch. Möglicherweise planen die Rechten selbst eine Besetzung, um einen Konflikt zu entfachen. Eine solche Taktik haben sie auch während der Studentenunruhen vor einem Jahr angewandt. Deshalb plädieren die Reformer für Ruhe, denn die Konservativen leben von der Gewalt und einer gespannten Situation.

ABENDBLATT: Wenn die Reformkräfte die Bevölkerung zu Ruhe und Normalität auffordern, wie können sie sich dann gegen solche Angriffe wehren und die Situation zu ihren Gunsten ändern?

Gouran: Die Macht befindet sich in den Händen der Konservativen. Es war vorherzusehen, dass es Zugriffe auf die Presse geben würde, da sie die einzige Tribüne der Reformkräfte ist. Die Zeitungen bzw. Zeitschriften spielten immer eine große Rolle, und solange sie existieren, können die Konservativen ihre Ziele nicht erreichen. Deshalb verbieten sie sie. Doch selbst wenn sie die gesamte Presse im Land, mit Ausnahme einiger konservativer Blätter, verbieten, wird ein solcher Zustand nicht lange andauern.

ABENDBLATT: Steht der Iran nun am Anfang vom Ende der Reformen? Bedeuten die derzeitigen Ereignisse den Beginn einer neuen Phase der politischen Entwicklung?

Gouran: Eine neue Phase wird erst eintreten, wenn das Parlament seine Arbeit aufnimmt. Die Konservativen werden sich weiterhin verhalten wie bisher und so neue Probleme schaffen. Dabei ist entscheidend, dass sie auf den Widerstand des Parlaments treffen werden. Verhaftet zu werden, ist für uns zur Normalität geworden. Doch deshalb wird die Gesellschaft bewusster und gewinnt an Selbstvertrauen. (HA)