Stuttgarter Nachrichten 28.04.2000

Inder schwebt nach Abschiebung in Lebensgefahr

Caritasverband Stuttgart kritisiert Abschiebepraxis des Landes und fordert eine Härtefallkommission

Der Stuttgarter Caritasverband übt harsche Kritik an der Abschiebepraxis des Landes Baden-Württemberg. Der Fall eines im März abgeschobenen zucker- und herzkranken indischen Asylbewerbers belege ein ¸¸zynisches und rechtswidriges Verhalten''.

VON HENDRIK KRUSCH

Der 53-jährige Mann schwebe nun in seinem Heimatland in Lebensgefahr, da er dort seine lebensnotwendigen Medikamente nicht bekomme. ¸¸Der Mann ist auf Grund seines Herzleidens und seiner schweren Diabetes arbeitsunfähig. Er kann also nicht arbeiten, um seine Medikamente zu bekommen'', schildert Fritz Weller, der Leiter der Caritas-Flüchtlingshilfe, den Fall. ¸¸Wir hoffen, dass Krishan Singh Bist noch lebt, aber wir wissen es nicht.'' Das jüngste Lebenszeichen war ein Brief an seine Rechtsanwältin Anfang April.

Krishan Singh Bist kommt im Dezember 1995 nach Deutschland und stellt einen Asylantrag. Dieser wird abgelehnt. Im November 1999 entscheidet das Verwaltungsgericht Stuttgart, die Abschiebung auszusetzen. ¸¸Es muss sichergestellt werden, dass der Antragsteller sofort nach seiner Ankunft in Indien die erforderlichen Medikamente erhält'', schreiben die Richter. Ein Vertrauensarzt des Auswärtigen Amtes meint, diese seien aber nicht problemlos kostenfrei zu erhalten, und zwei Krankenhäuser in Neu-Delhi bescheinigen ebenfalls, dass dies nicht kostenfrei möglich sei. Zudem verpflichten die Verwaltungsrichter das Regierungspräsidium Stuttgart, die Abschiebung ¸¸rechtzeitig anzukündigen, dass er noch in der Lage ist, um gerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen''.

¸¸Dieser gerichtlichen Maßgabe kam das Regierungspräsidium in keinster Weise nach'', sagte jetzt Weller. Die Rechtsanwältin Marina Walz-Hildenbrand wurde einen Tag vor der Abschiebung von einem Gutachten des Auswärtigen Amtes unterrichtet, dass die medizinische Vorsorge gesichert sei. ¸¸Gesehen habe ich es nie'', sagt Walz-Hildenbrand. Noch am gleichen Abend wurde Krishan Singh Bist in seiner Unterkunft in Stuttgart abgeholt und am folgenden Morgen um 7 Uhr abgeschoben.

Die Caritas kritisiert vor allem die mangelnde Sensibilität bei Einzelfällen. Aus diesem Grund forderte Weller Härtefallkommissionen, wie es sie in Schleswig-Holstein oder Nordrhein-Westfalen gibt. ¸¸Die meisten problematischen Abschiebungen sind Kurden in die Türkei'', berichtet Weller aus seiner 14-jährigen Erfahrung als Flüchtlingshelfer. Das Asylverfahren sollte besonders bei Flüchtlingen, die durch Folter, Vergewaltigung und Krieg traumatisiert sind, angepasst werden. Die Behörden sollten bei humanitär begründeten Fällen, den Sachverhalt umfassend prüfen und Abschiebemaßnahmen aussetzen.