HANDELSBLATT 28.4.2000

Sezer verpaßt Zweidrittel-Mehrheit

Türkische Präsidentenwahl muss in die zweite Runde

Reuters ANKARA. In der ersten Runde der Präsidentenwahl am Donnerstag in der Türkei hat kein Kandidat die erforderliche Stimmzahl erhalten. Zwar hätten die Mehrheit der Abgeordneten für den Kandidaten der drei Regierungsparteien und Vorsitzende des Verfassungsgerichts, Ahmet Necdet Sezer, gestimmt, sagte ein Sprecher des Parlaments in Ankara. Mit 281 der 550 Stimmen habe dieser jedoch die erforderliche Zwei- Drittel-Mehrheit von 367 Stimmen verpasst.

Die zweite Wahlrunde wurde auf den 1. Mai festgesetzt. Sollte auch dann keine Entscheidung fallen, müsste der Nachfolger von Süleyman Demirel in einer dritten oder vierten Runde bestimmt werden.

Ministerpräsident Bülent Ecevit sagte nach der Wahl, er sei sich sicher, dass Sezer am Ende siegen werde. Es sei erwartet worden, dass es in der ersten Runde zu einer Aufsplittung der Stimmen kommen würde. Die Zeitung "Hürriyet" hatte vor der Wahl gemutmaßt, nicht alle Abgeordneten würden sich bei der geheimen Abstimmung an die Parteidisziplin halten und für Sezer stimmen, sondern aus Protest einen anderen Kandidaten bevorzugen.

Gegen den 58-Jährigen Sezer traten in der ersten Runde neun Mitbewerber an, von denen der konservative Parlamentspräsident Yildirim Akbulut als schärfster Konkurrent galt. Er erhielt in der ersten Runde 56 Stimmen. Das Parlament muss sich bis zum 16. Mai auf einen neuen Präsidenten einigen, wenn die Amtszeit Demirels endet.

Sezer ist seit 1998 Vorsitzender des Verfassungsgerichts. Der entschiedene Befürworter der Trennung von Staat und Religion hat unter anderem die Auflösung der islamistischen Wohlfahrtspartei unterstützt und gilt damit als akzeptabler Kandidat für das einflussreiche Militär. Er befürwortet zudem eine Milderung der Anti-Verhetzungsgesetze, die sich gegen islamistische und kurdische Politiker richten. Diese Sichtweise bringen ihm auch die Unterstützung reformorientierter Kräfte ein.