junge Welt 28.04.2000

Abschiebung rückgängig machen

Kundgebung vor der Wiesbadener Ausländerbehörde. Solidarität mit kurdischer Familie

In Wiesbaden haben am Mittwoch abend Mitglieder eines Initiativkreises vor der örtlichen Ausländerbehörde gegen die drohende Abschiebung einer kurdischen Familie demonstriert. Das inzwischen bundesweit für Aufsehen sorgende Schicksal der seit Jahren in Wiesbaden lebenden Familie Akyüz beschäftigt seit Wochen viele Menschen in der hessischen Landeshauptstadt.

Nachdem der Familienvater einer insgesamt elfköpfigen Familie - trotz in der Vergangenheit erlittener Mißhandlungen und Folter in der Türkei - im Februar diesen Jahres zum zweiten Mal aus der Bundesrepublik abgeschoben wurde, droht auch den anderen Familienmitgliedern, die zur Zeit noch in Wiesbaden leben, die Abschiebung.

Wie das Magazin »Stern« in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, ist Herr Akyüz seit Februar, aus Furcht vor neuerlicher Verfolgung vor weiteren Mißhandlungen und Folter, in der Türkei untergetaucht. Deshalb setzen sich Uwe Remus, der Anwalt der kurdischen Familie, sowie der Wiesbadener Flüchtlingsrat und andere Gruppen nicht nur für ein Bleiberecht für die anderen Familienmitglieder ein, sondern bemühen sich darum, daß der in einem Versteck lebende Vater ein Visum zur sofortigen Wiedereinreise erhält.

Hart ins Gericht mit der Entscheidung der Wiesbadener Ausländerbehörde, den Familienvater abzuschieben und dem Rest der Familie ebenfalls den Aufenthalt in der Bundesrepublik versagen zu wollen, gingen die Rednerinnen und Redner bei der Kundgebung am Mittwoch. Der Pfarrer der katholischen St. Elisabethenkirche erinnerte daran, daß die gesamte Familie hier gut integriert sei. Und die Pfarrerin der evangelischen Kreuzkirchengemeinde, die die Forderungen des Flüchtlingsrates ebenfalls unterstützt, zeigte sich verwundert darüber, wie weit »christliche Lehre«, die doch angeblich Handlungsschnur auch vieler Politiker sei, und die in der Praxis anzutreffende Härte und Gnadenlosigkeit im Umgang mit Flüchtlingen auseinander lägen. »Dabei tragen doch in unserem Land sogar Parteien das C für christlich im Namen. Ich kann aber in der Bibel nirgendwo finden, daß so unmenschlich mit Fremden umgegangen werden soll. Ich kann nur zahlreiche Stellen finden, die genau das Gegenteil fordern«, so die Pfarrerin am Mittwoch abend.

Noch deutlicher wurde die Sprecherin von »kein mensch ist illegal - Wiesbaden«: Bei Herrn Tischel, dem Leiter der Wiesbadener Ausländerbehörde, sei die Vermutung angebracht, ihn treibe »eine ganz offensichtlich rassistische Grundhaltung«. So habe dieser in einem Gespräch, in dem es nur um seine Zustimmung für den Umzug eines kurdischen Flüchtlings aus einer anderen Stadt nach Wiesbaden ging, geäußert: »Wenn ich es irgendwie verhindern kann, kommt hier kein Kurde mehr in die Stadt.«

Bei einigen habe das Verhalten der Ausländerbehörde in der hessischen Landeshauptstadt, so die Sprecherin von »kein mensch ist illegal«, sogar Assoziationen an die deutsche Vergangenheit ausgelöst, zum Beispiel bei dem Kabarettisten Dieter Hildebrandt. Der hatte sich in seiner letzten »Scheibenwischer«-Sendung vom 12. April gefragt, ob die in diesem Fall verantwortlichen Personen »vielleicht nachträglich in die SS eintreten wollen.«

Daß unmenschliches, gnadenloses Verhalten gegenüber Flüchtlingen in Deutschland aber keine Wiesbadener Besonderheit ist, daran erinnerte die Rednerin allerdings am Ende auch noch. Ein besonders rigoroses und skandalöses Vorgehen habe z.B. der Berliner Senat im Umgang mit fünf hungerstreikenden ukrainischen Frauen praktiziert. Erst nach massiven Protesten seien unabhängige Ärztinnen zur Untersuchung der Frauen zugelassen und mittlerweile vier der fünf Frauen aus der Abschiebehaft entlassen worden. Bei der Familie Akyüz komme es nun darauf an, daß der öffentliche Druck noch zunehme und das Ende der Geschichte »vom türkischen Folterkeller in die Klauen der deutschen Abschiebemaschinerie« doch noch ein für die Familie gutes Ende nehme.

Thomas Klein