Wiesbadener Tagblatt 27.04.00

"Ein ermutigendes Beispiel"

Demonstration gegen die drohende Abschiebung der Familie Akyüz

Vom 27.04.2000 cla. -

Heute Mittag könnte die Polizei bei Emine Akyüz, ihren acht Kindern, der Schwiegertochter und dem Enkelkind vor der Tür stehen.

Wenn das Wiesbadener Verwaltungsgericht nicht einer zusätzlichen Anhörung von Zeugen zustimmt und die eingereichten Eilanträge ablehnt, droht Abschiebung.

Um noch einmal ihre Entschlossenheit zu demonstrieren, versammelten sich gestern Nachmittag vor der Ausländerbehörde im Europaviertel Freunde der Familie, Vertreter von Kirchen, vom Flüchtlingsrat und anteilnehmende Menschen, um gegen die drohende Abschiebung der Familie Akyüz zu demonstrieren.

Am 17. Februar war der Vater der seit fünf Jahren in Deutschland lebenden Familie, Abdulcabbar Akyüz, zum zweiten Mal abgeschoben worden. Seitdem hat der Fall bundesweit Schlagzeilen gemacht. In der heutigen Ausgabe des "Stern" wird über ein Gespräch mit dem im Versteck lebenden Kurden berichtet. 1993 hatte Akyüz erstmals Asyl beantragt, er hatte sich geweigert, als Dorfschütze für die türkische Regierung zu arbeiten.

Doch sämtliche Asyl- und Folgeanträge für ihn und seine Familie wurden abgelehnt, nach der Abschiebung 1998 wurde er in der Türkei verhaftet und misshandelt. Der erneuten Flucht folgte die neuerliche Ausweisung, nun geht es um die Familie Akyüz.

Stellvertretend für die Familie, betonte Ines Welge vom Flüchtlingsrat die Notwendigkeit eines dauernden Bleiberechts für Emine Akyüz und ihre Kinder. Angesichts der Versammlung sprach sie von "einem ermutigenden Beispiel, dass in dieser Stadt Menschen leben, denen das Schicksal von bedrohten Flüchtlingen nicht egal ist".

In allen Redebeiträgen wurde heftige Kritik an der Wiesbadener Ausländerbehörde und dem zuständigen Oberbürgermeister geübt. "Es geht auch anders", meinte Uwe Remus, Rechtsanwalt der bedrohten Familie. Einhelligkeit besteht darüber, dass die existierenden Regelungen besonders strikt angewandt worden seien.

Man vermutet, dass sogar ein politisches Signal gegeben werden soll. "Reine Prinzipienreiterei", meinte Remus. Gerhard Fischer, stellvertretender Leiter der Ausländerbehörde, sah sich die Kundgebung zwar an, wollte sich jedoch nicht zu den Vorwürfen äußern.

Für die beiden Kirchengemeinden im Westend, St. Elisabeth und Kreuzkirche, erklärten Pfarrerin Heike Beck und Pfarrgemeinderat Jochen Herlt, sie müssten "aus christlichem Grundverständnis" für die Familie Akyüz eintreten. Man habe die Familie kennen gelernt, aufgeschlossen und doch "voll Angst in den Gesichtern". "Das", so Herlt, "darf unsere Gesellschaft einfach nicht zulassen".