Berliner Zeitung 26.04.00

Die Rolle der Presse in Iran

Fotini Mavromati

Auf der Iran-Konferenz in Berlin vor zwei Wochen erklärte der Journalist Akbar Ganji: "Die Zeit der Gewalt ist vorbei." Aber während die Reformer in Berlin als Vertreter des Regimes niedergeschrien wurden, bereiteten die konservativen Medien in Iran eine Kampagne gegen sie vor. Das staatliche Fernsehen strahlte die tumultartigen Berliner Szenen aus, die Tageszeitung "Keyhan" bezichtigte die Teilnehmer der Veranstaltung antirevolutionärer Tendenzen. Kaum nach Teheran zurückgekehrt, hatten sie sich vor dem Revolutionsgericht zu verantworten.

Infolge der Berliner Ereignisse erreichte die politische Auseinandersetzung in Iran zwischen Reformern und Konservativen am vergangenen Wochenende einen neuen Höhepunkt: zwölf regimekritische Zeitungen und Zeitschriften wurden von der iranischen Justiz verboten. Der Geschäftsführer der bereits verbotenen Zeitung "Neschat", Latif Safari, muss eine 30-monatige Gefängnisstrafe antreten, der Reporter Akbar Ganji ist "vorübergehend in Haft genommen". Ganji hat zuletzt ein Buch publiziert über die Serienmorde an Dissidenten im Herbst 1998. Der für die Presse zuständige Gerichtshof wirft ihm Verletzung des Pressegesetzes vor sowie die Teilnahme an der Konferenz.

"Eine stille Revolution"

Die Parlamentswahlen im Februar hätten gezeigt, dass der Reformkurs des Staatspräsidenten Chatami nicht aufzuhalten sei, denn rund 30 Millionen Wähler hätten für einen Wandel in Iran gestimmt. "Eine stille Revolution" nennt das Hamit Reza Djalaipur, der Leiter des Ressorts Politik von der jetzt verbotenen "Asre Azadegan" ("Die Zeit der Freidenkenden"). Das Blatt gehört zu den großen Tageszeitungen Teherans.

Die Presse war in der islamischen Republik Iran zeitweise stark eingeschränkt, doch seit der Präsidentschaftswahl Chatamis vor drei Jahren hatte sich die iranische Medienlandschaft verändert - trotz weiter bestehender Zensur. Das Informationsmonopol haben nicht mehr das Staatsfernsehen und die dem Klerus nahe stehenden Medien, sondern es gibt zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften, die sich für eine moderne Interpretation des Islam einsetzen und eine rechtsstaatliche Ordnung fordern. Etwa tausend Periodika gibt es in Iran, darunter 35 überregionale Zeitungen, zehn davon gelten als die wichtigsten. Doch nur zwei Millionen Iraner lesen täglich eine Zeitung. Aber die Menschen wollen Informationen, und je kritischer das Blatt, desto höher seine Auflage. Die streitbare Presse profitiert vom vorsichtigen Liberalisierungskurs, trägt ihn aber auch, denn Chatamis Reformpolitik wäre längst nicht so populär, wenn sie nicht von den neuen Meinungsmachern gestützt würde.

Djalaipur ist nicht nur einer der bekanntesten Journalisten des Landes, sondern auch ein typischer Vertreter der iranischen Intellektuellen mit islamischem Hintergrund. Als Soziologiestudent in Teheran und London war er glühender Befürworter der Revolution Chomeinis. Er hat als Freiwilliger an dem Krieg mit Irak teilgenommen und war jahrelang Gouverneur einer kurdischen Stadt im Krisengebiet. Doch wie viele seiner Generation sieht er die Zeit der Revolution und des Krieges für endgültig beendet an. Djalaipur will jetzt den "zivilen Prozess" in Iran vorantreiben, zusammen mit anderen Publizisten wie Akbar Ganji und Ali-Reza Alavitabar. Sie gehören zu den liberalen Moslems, die die Vormachtstellung der Mullahs in Frage stellen. Mit diesen Ansichten finden sie eine große Anhängerschaft unter den Studenten.

Das Spiel von Verbot und Neuzulassung

In Iran wurden in den vergangenen Jahren Zeitungen verboten, Redaktionen von Schlägertrupps auseinander genommen, Journalisten ins Gefängnis gebracht oder gar ermordet. Auch Djalaipur hat viermal die Schließung seiner Zeitung erlebt. Die erste erfolgte im Sommer 1998 mit dem Verbot der moderaten "Djameéh", woraufhin er sie "Tus" umbenannte und sie eine Woche später mit gleichem Layout und denselben Mitarbeitern wieder erschien. Das Spiel von Verbot, Umbenennung bei gleichzeitiger Auflageerhöhung ging weiter bis Ende 1999, als das kritische Blatt "Neschat" einen Beitrag über die Hinrichtungen in Iran brachte. Nur 24 Stunden später hatte Djalaipur dank seiner Verbindungen zu den Reformern die Lizenz für eine neue Zeitung bekommen, der jetzigen "Asre Azadegan". "Sie haben meine Zeitung per Gesetz verboten und mir eine Gefängnisstrafe auferlegt, und das war gut, denn nur so können wir für eine Institutionalisierung der Pressefreiheit kämpfen", sagte Djalaipur. Mit "sie" meinte er das Ministerium für Justiz, das fest in der Hand der Konservativen ist. Aber jetzt sieht es aus, als hätten nicht die Konservativen verloren, sondern der Reformer Chatami seine wichtigste Stütze: die freie Presse.