Berliner Zeitung 27.04.00

IRAN

Die Hatz der Konservativen auf einen Mullah

von Martina Doering

Wenn Yousefi Eshkevari auf der Iran-Konferenz in Berlin Anfang April mal zum Reden kam, sagte er Sensationelles. Der iranische Geistliche plädierte für eine Trennung von Staat und Religion. Er begründete, warum das Prinzip der Allmacht des Rechtsgelehrten mit der Religion unvereinbar ist. Für eine Gruppe Exil-Iraner in Berlin war der liberale Geistliche in Turban und wallendem Gewand einfach nur der Mullah, der Feind. Sie schrien ihn nieder. Für die Konservativen in Iran ist Eshkevari das allerdings auch.

Nach ihrer Rückkehr erhielten alle Reformvertreter, die in Berlin waren, Vorladungen vor das Revolutionstribunal in Teheran, der Journalist Akbar Ganji kam ins Gefängnis. Ein offizieller Haftbefehl wurde zuerst jedoch nur gegen Hojatoleslam Eshkevari erlassen. Vollstreckt werden konnte er nicht, weil Eshkevari sich noch in Paris aufhält.

Gestern haben nun auch alle anderen diesen Bescheid erhalten: Sie hätten Propaganda gegen das islamische System betrieben und den Glauben beleidigt, lautet die Begründung. Die Häuser der Reformer wurden durchsucht.

Das Vorgehen der iranischen Konservativen gegen die Teilnehmer der Berliner Iran-Konferenz ist nur ein Bestandteil der Kampagne, mit der sie ihre Niederlage bei den Parlamentswahlen im Februar korrigieren wollen. Liberale Zeitungen wurden verboten und einige Journalisten verhaftet. In einigen Städten wurden die Wahlergebnisse annulliert. Das gibt den Konservativen die Chance, durch Manipulationen beim zweiten Wahlgang am 5. Mai ihren Kandidaten zu einem Parlamentssitz zu verhelfen. Der Chef der Revolutionsgarden, Rahim Safavi, drohte ganz unver-

hüllt: "Die Feinde der Revolution werden Vorschlaghämmer in ihren Schädeln zu spüren bekommen." Als Feinde aber sehen die Konservativen alle, die für politische und gesellschaftliche Reformen eintreten: Frauenrechtlerinnen, Studenten, Journalisten, Schriftsteller und unzufriedene Jugendliche - insbesondere aber "Dissidenten" aus den eigenen Reihen wie Yousefi Eshkevari.

Der 50-Jährige genießt hohes Ansehen unter den islamischen Theologen. Er studierte in Ghom, dem geistigen Zentrum der schiitischen Gelehrtenschaft, ist Mitautor der "Großen Enzyklopädie des Islam" und gilt als einer der angesehensten Autoritäten der Islam-Forschung. Als junger Mann gehörte Eshkevari zum Kreis um Ajatollah Chomeini und setzte sich für den Sturz des Schahs ein. Doch schon bald trat er in die Fußstapfen seines Lehrers Ajatollah Montazeri. Der war nicht nur ein enger Weggefährte, sondern auch designierter Nachfolger Chomeinis. Wegen seiner Kritik am real existierenden Islamismus und an der Missachtung der Menschenrechte fiel Montazeri jedoch noch zu Lebzeiten Chomeinis in Ungnade. Bis heute steht er in Ghom unter Hausarrest.

Auch Eshkevari hat die Entwicklung der Islamischen Republik von ihrer Gründung an kritisch begleitet. Er hat die Widersprüche zwischen den wohltönenden Zielen und der realen Machtausübung benannt. Und nach Wegen für die Vereinbarkeit von Islam und Demokratie gesucht. Nur wenige sind so mutig wie er. Eshkevari äußert nicht nur Kritik an den Strukturen, er fordert eine Überprüfung der bisherigen Interpretationen des Koran. Und er geht sogar so weit, die Abschaffung des in der Verfassung verankerten Velayat-e-Faqi, der uneingeschränkten Herrschaft des Rechtsgelehrten, zu fordern.

Damit hat er der Reformbewegung geistig den Weg geebnet. Dafür wird er von den konservativen Geistlichen gehasst. Sie wissen durch ihre Revolution vor zwanzig Jahren, welche Massenwirkung Appelle aus den Moscheen haben können. Aufrufe zur Zerstörung der Islamischen Republik würden heute in Iran nur begrenzt Unterstützung finden; eine überwältigende Mehrheit wünscht sich Reformen - also das, was Präsident Chatami will.

Schon einmal haben die Konservativen einen Vorwand zum Losschlagen gegen die Reformer gesucht. Im vergangenen Dezember verboten sie erst eine Zeitung, dann gingen sie gegen protestierende Studenten vor. Jetzt scheint sich das zu wiederholen. Der Fall Eshkevari könnte den Konservativen den Anlass zum Putsch liefern. Kehrt der Geistliche heim und wird verhaftet, sind Demonstrationen absehbar - und den Revolutionsgarden böte sich die Gelegenheit, die "Vorschlaghämmer" zu benutzen.