Süddeutsche Zeitung 27.04.00

FOKUS 1 - Ajatollah Chamenei unterstützt Präsident Chatami

Teheran, 26. Apr (Reuters) - Im politischen Streit zwischen Reformkräften und Klerikern im Iran hat der oberste Führer des Landes, Ajatollah Ali Chamenei, die verschiedenen Lager zur Einheit aufgerufen und dem gemäßigten Präsidenten Mohammad Chatami seine Unterstützung zugesagt. Chamenei sagte am Mittwoch, Präsident Chatami gehöre zu den Stützen des Systems der iranischen Revolution. Der Streit um das Verbot mehrerer reformorientierter Zeitungen solle beendet werden. Nach dem Verbot nahm die konservative Justiz des Landes am Mittwoch den Bruder des reformfreudigen Präsidenten ins Visier. Als Termin für die zweite Runde der Parlamentswahlen setzte der konservative Wächterrat den 5. Mai fest.

Chamenei sagte laut Fernsehen in einer Rede vor Anhängern des Reformlagers, alle loyal zur Revolution von 1979 stehenden Kräfte des Landes sollten mitarbeiten, dass die Regierung ihre Arbeit machen könne und die Probleme der Nation löse. Allerdings kritisierte der Ajatollah einige Tendenzen und Personen, die seine jüngsten Warnungen vor einer reformorientierten Presse als Zeichen gedeutet hatten, er sei gegen den Präsidenten.

Der staatliche Rundfunk der Islamischen Republik berichtete, der Teheraner Presserichter Saeed Mortasavi habe Mohammad Resa Chatami wegen Inhalten und Aufmachung der von ihm herausgegebenen Zeitung "Moscharekat" abgemahnt. Falls Resa Chatami darauf nicht reagiere, werde das Gericht die nötigen Schritte einleiten, hieß es weiter. Anfang der Woche hatte das Gericht zunächst 14 Reformblätter verboten, eines jedoch kurz darauf wieder zugelassen.

Das Gericht beanstande ein neues Layout von "Moscharekat" und Sonderausgaben, mit denen die Zeitung die von den geschlossenen Blättern hinterlassene Lücke schließen wollte, hieß es im staatlichen Rundfunk weiter. "Moscharekat" und die vorübergehend geschlossene "Sobh-e Emrus" sind die letzten noch erscheinenden Tageszeitungen der Reformbewegung.

Die Schließungen und Drohungen der als erzkonservativ geltenden islamischen Justiz gegen die Zeitungen zielen nach Ansicht von Beobachtern auf die Reformpolitik von Präsident Chatami. Dieser hat sich mehrfach für eine freie Presse als wichtigen Teil der von ihm angestrebten bürgerlichen Gesellschaft ausgesprochen. In Journalistenkreisen wurde die Abmahnung an den Bruder des Präsidenten als Suche des Gerichts nach einem Vorwand gewertet, die Zeitung zu schließen.

In Teheran demonstrierten erneut mehrere hundert Studenten auf dem Universitätsgelände für eine freie Presse und gegen die Schließung von Zeitungen. Zu Zwischenfällen kam es offenbar nicht. Ein Sprecher der Studenten kündigte weitere Proteste an.

Die Bundesregierung erklärte in Berlin, sie beobachte die Entwicklung im Iran. Informationsfreiheit sei ein Gradmesser der Menschenrechte, sagte eine Sprecherin. Die Regierung hoffe darauf, dass im Iran Reformen durchgesetzt würden.

Der Wächterrat legte nach einem Bericht des staatlichen Rundfunks fest, dass am 5. Mai in etwa 60 Wahlkreisen gewählt wird, in denen beim ersten Wahlgang im Februar keiner der Kandidaten 25 Prozent erreichte. Das neue, auf 290 Abgeordnete erweiterte Parlament in Teheran soll am 28. Mai zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkommen. In elf Wahlkreisen hat der Wächterrat Wahlergebnisse für ungültig erklärt. Aus den Wahlen im Februar waren vor allem Vertreter des Reformkurses als Sieger hervorgegangen.

eju/bob