Berliner Zeitung 25. April 2000

Neuer Machtkampf in Iran: Justiz schließt liberale Zeitungen

Gerichtshof verbietet zwölf Tageszeitungen und Zeitschriften / Präsident Chatami will Meinungsfreiheit gegen konservativen Klerus verteidigen

TEHERAN, 24. April. Zwischen konservativen Klerikern und den Reformern um den iranischen Präsidenten Mohammed Chatami ist ein neuer Machtkampf ausgebrochen. In der größten Zensuraktion seit der islamischen Revolution von 1979 verbot der Gerichtshof in Teheran am Sonntag acht reformorientierte Tageszeitungen und vier Zeitschriften. Als Begründung führte die Justiz an, die Publikationen hätten "den Islam und die religiösen Elemente der islamischen Revolution herabgesetzt". Zuvor waren zwei regimekritische Journalisten verhaftet worden.

Staatspräsident Mohammed Chatami verteidigte dagegen die Meinungsfreiheit. Wie das staatliche Fernsehen am Montag berichtete, sagte Chatami auf einer Kabinettssitzung: "Meinungsfreiheit und Pluralismus sind das Recht des Volkes, und sie werden beständig als große Errungenschaften der Islamischen Revolution betrachtet." Die offizielle Nachrichtenagentur IRNA zitierte den Präsidenten mit den Worten: "Strafe und die Durchsetzung des Gesetzes sind etwas Anderes als Gewalt, die sich auf Zwangsmaßnahmen und irrationale und illegale Mittel stützt." In der gegenwärtigen Lage könne nichts gefährlicher als Unruhe oder das Beabsichtigen von Unruhe sein.

Reformpolitiker befürchten, mit der jüngsten Kampagne wollten konservative Kräfte den Beginn der neuen Legislaturperiode verzögern. Im neuen Parlament, das seine Arbeit am 27. Mai aufnehmen soll, verfügen die Reformer über eine Zweidrittelmehrheit. Die Stichwahlen zum Parlament, ursprünglich für den vergangenen Freitag geplant, waren bereits auf Druck der Konservativen verschoben worden. Mit der Mehrheit der Konservativen hatte das scheidende Parlament noch ein schärferes Presserecht verabschiedet. Das geistliche Oberhaupt Irans, Ayatollah Ali Chamenei, hatte am Donnerstag erklärt, es gebe im Land zehn bis 15 reformorientierte Blätter, die als Stützpunkte des Feindes dienten. Chamenei ist Gegenspieler des gewählten Staatspräsidenten Chatami.

Außenamt: Kein Kommentar

Die reformorientierte und Chatami nahe stehende Presse veröffentlichte eine gemeinsame Stellungnahme, in der das Verbot der zwölf Publikationen kritisiert wird. Zu den jetzt verbotenen Zeitungen gehört auch das Blatt "Fath". Am Samstag war ein Mitglied der Redaktionsleitung dieser Zeitung, Akbar Gandschi, wegen Verletzung des Pressegesetzes und der Teilnahme an einer Konferenz in Berlin "vorübergehend in Haft" genommen worden. Gandschi war zu einer Iran-Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung gereist, die am 8. April von linken und marxistischen Exil-Iranern gestört worden war. Das von Konservativen beherrschte staatliche iranische Fernsehen zeigte Bilder von den Tumulten. Unter dem Vorwurf, "Iran im Angesicht von Konterrevolutionären eine Schande bereitet" zu haben, wurden die 17 iranischen Teilnehmer der Veranstaltung vom Revolutionsgericht in Teheran vorgeladen. Am Sonntag wurde auch Latif Safari verhaftet, der geschäftsführende Herausgeber der bereits verbotenen Zeitung "Neschat".

Das Auswärtige Amt in Berlin lehnte eine Stellungnahme ab. Noch im März hatte Außenminister Joschka Fischer nach einer Teheran-Reise den demokratischen Öffnungsprozess gewürdigt und von einer "neuen Chance" für die deutsch-iranischen Beziehungen gesprochen. Im Juli will Präsident Chatami Berlin besuchen. (AP, dpa)