junge Welt 25.04.2000

Abschieber ohne Skrupel

Wiesbadener Flüchtlingsrat versucht, Ausfliegen einer kurdischen Familie in die Türkei zu verhindern

In den letzten Tagen ist im Zuge eines parteiübergreifenden Appells, bei Balkanflüchtlingen nicht mit schnellen Abschiebungen zu reagieren, die deutsche Ausländer- und Flüchtlingspolitik in die Schlagzeilen geraten. Auch vor Ort regt sich der Widerstand gegen eine skrupellose Abschiebepraxis der Behörden.

In Wiesbaden machen gegenwärtig verschiedene Gruppen gegen die drohende Abschiebung einer kurdischen Familie mobil. Am Mittwoch findet auf Initiative des örtlichen Flüchtlingsrates vor der Ausländerbehörde in der hessischen Landeshauptstadt eine Kundgebung statt. Grund ist das für bundesweites Aufsehen sorgende Schicksal der seit Jahren in Wiesbaden lebenden Familie Akyüz. Die Familie ist akut davon bedroht in die Türkei abgeschoben zu werden, nachdem der Petitionsausschuß des Hessischen Landtages am 30. März das Ersuchen, der Familie aus politischen und humanitären Gründen ein dauerhaftes Bleiberecht zu gewähren, abgelehnt hatte.

Hintergrund der Bemühungen des Wiesbadener Flüchtlingsrates und anderer Gruppen, eine Abschiebung der elfköpfigen Familie unbedingt zu verhindern: Die Familie hatte in der Türkei Verhaftungen, Folter und die Zerstörung ihres Eigentums über sich ergehen lassen müssen. 1993 gelang dem Vater die Flucht nach Deutschland, 1995 folgten die anderen Angehörigen der Familie. Doch auch hier waren sie nicht sicher, sondern wurden, so der Flüchtlingsrat in dem Aufruf zur Kundgebung, »Opfer von Ausländerpolitik, Asylgesetzgebung und juristischen Verfahrenszwängen«. Der Vater wurde nach Abschiebung und wiederholter Flucht zuletzt am 17. Februar dieses Jahres abgeschoben »und muß sich seitdem in der Türkei versteckt halten. Nun soll ihm auch die Familie folgen«.

Gemeinsam setzen sich der Wiesbadener Flüchtlingsrat und der Anwalt der Familie dafür ein, daß es im inzwischen beantragten Folgeverfahren wegen Abschiebehindernissen zu einer mündlichen Verhandlung kommt. Da sei es dann möglich, zwei bisher nicht angehörte Zeugen zu laden: Dies sei zum einen ein Kurde, der 1997 nach seiner eigenen Abschiebung im Verhör von türkischen Sicherheitskräften nach Herrn Akyüz befragt wurde, der inzwischen nach Deutschland geflohen ist und als politischer Flüchtling anerkannt wurde. Zum anderen müsse bei einer mündlichen Verhandlung auch eine Psychologin des Psychosozialen Zentrums für Folteropfer gehört werden, denn die habe in einem Gutachten festgestellt, daß verschiedene Familienmitglieder schwere Traumatisierungen aufgrund von Folter und Gewalteinwirkungen aufwiesen. Weitere Gründe, die Familie nicht »in den Folterstaat Türkei« abzuschieben, listet der Flüchtlingsrat in dem Aufruf zur Protestveranstaltung vor der Ausländerbehörde auf: Neben dem Aspekt, daß körperlich und seelisch Geschädigte nicht wieder ins Unglück zurückgestoßen werden dürften, sei zudem die Existenzgrundlage der Familie in ihrem Herkunftsland schlicht zerstört. Ihr Dorf sei weitgehend evakuiert. Darüber hinaus drohen der Familie wegen ihres Kampfes gegen eine Abschiebung in die Türkei härteste Bestrafungen. Die beiden ältesten Söhne müßten damit rechnen, sofort zum Militär eingezogen und lebensbedrohenden, schikanösen Behandlungen ausgesetzt zu werden. »Zorn, Trauer, Erbitterung, aber auch Solidarität herrschen bei denen, die Familie Akyüz näher kennen- und schätzen gelernt haben.«

Und die ließen es unterdessen nicht an Solidarität mangeln. Die vom Flüchtlingsrat eingebrachte Petition erhielt viel Unterstützung aus der Bevölkerung, unter anderem von Lehrern und Schülern der Leibniz-Schule, die von den jüngeren Kindern der Familie besucht wird. Auch der Arbeitgeber einer der Söhne der Akyüz und der Sportverein WFC-Phönix Breckenheim unterstützen die Forderung nach einem Bleiberecht. Dafür setzen sich außerdem die katholische St. Elisabethen- und die evangelische Kreuzkirchengemeinde, die Caritas und der AStA der Fachhochschule Wiesbaden ein.

Das Verwaltungsgericht wird am 27. April entscheiden.

Thomas Klein

*** Kundgebung vor der Wiesbadener Ausländerbehörde, Europaviertel - Alcide-de-Gasperi-Str. 3, Mittwoch, 17 Uhr