web.de 22.04.2000 11:09

Schmidt und Giscard kritisieren Eile bei EU-Erweiterung

Türkei-Beitritt hat «überhaupt keine Priorität» - Warnung vor Zusammenbruch der Institutionen

Hamburg (AP)

Altbundeskanzler Helmut Schmidt und der frühere französische Staatspräsident Valery Giscard d'Estaing haben die «unübersehbare Eile» bei der Erweiterung der Europäischen Union nach Osten kritisiert. In einem gemeinsamen Beitrag für die «Welt am Sonntag» vertraten sie die Ansicht, hohe Priorität habe nur ein Beitritt Polens, Tschechiens und Ungarns. Einer Aufnahme der Türkei und damit einer Ausbreitung der EU bis an die Kaukasusregion und an die Grenzen Iraks, Irans und Syriens komme «überhaupt keine Priorität» zu.

Die Autoren forderten, einer Erweiterung müsse eine tiefgreifende Reform der EU-Institutionen vorausgehen. Diese funktionierten schon jetzt nicht gut und würden dann überhaupt nicht mehr funktionieren.

Schmidt und Giscard warnten auch davor, einige noch nicht in sich gefestigte europäische Länder der Konkurrenz hoch entwickelter Unternehmen der bisherigen EU-Staaten auszusetzen. «Es wäre auch unklug, Millionen von Arbeitern zur Migration nach Westeuropa einzuladen, wo sie versucht sein könnten, auf Dauer zu bleiben, weil sie hier fünf- bis zehnmal so hohe Löhne beziehen können wie daheim.»

Einzig realistisch sei eine forcierte Integration jener EU-Länder, die den politischen Willen dazu hätten und deren wirtschaftliche und gesellschaftliche Gegebenheiten nahezu gleich seien, meinen Schmidt und Giscard. Diese Länder gehörten alle zum Euro-Währungsgebiet, dessen Bevölkerung jetzt schon größer sei als die der USA. «Solange England es vorzieht, seinen Platz auf dem Zaun - halb drinnen, halb draußen - nicht zu verlassen, wird der Fortschritt vor alle von der engen Zusammenarbeit zwischen Franzosen und Deutschen abhängen.»