Frankfurter Rundschau 22.4.2000

"Die friedenspolitische Debatte ist unverzichtbar"

Willi van Ooyen über die Zukunft des Ostermarsches und Vorwürfe, die Friedensbewegung argumentiere einseitig

Zu Ostern ruft die Friedensbewegung wieder bundesweit zu den Ostermärschen auf. Auf dem Römerberg gibt es am Montag um 13 Uhr eine Kundgebung. FR-Redakteur Martin Müller-Bialon sprach mit dem Sprecher des Frankfurter Ostermarschbüros, Willi van Ooyen (53).

Frankfurter Rundschau: Herr van Ooyen, was glauben Sie, wie lange es noch Ostermärsche geben wird?

Willi van Ooyen: Die Ostermarschbewegung wird und muss solange aktiv bleiben, wie Krieg und Aufrüstung Mittel der Politik sind. Der Ostermarsch ist ein Beitrag der Friedensbewegung gegen eine solche Politik, und es muss uns immer wieder gelingen, Menschen davon zu überzeugen, für eine solche Position einzutreten.

Aber es werden immer weniger, die mitmarschieren wollen.

Das ist ein Wechselspiel. Wir haben 1980 mit einem Osterspaziergang angefangen. Da waren 80 Leute dabei. Dieser aktive Kern wird immer noch überboten. In den 80er Jahren gelang es der Friedensbewegung, für ein strategisches Ziel, nämlich die Verhinderung der Raketenstationierung, breite Massen zu mobilisieren. Wir müssen in die Lage kommen, solche Bündnisse wieder herzustellen, auch wenn wir sagen müssen, dass die Friedensbewegung in den 80er Jahren am wenigstens pazifistisch war. Das war eine Massenbewegung gegen Atomraketen, und dieses Spezifikum wird uns immer wieder vorgehalten. Es gab immer einen Kern von Überzeugungstätern.

Und das sind die wahren Pazifisten?

Natürlich hat die Friedensbewegung im Kern eine pazifistische Position. Wir wissen, dass wir mit einer solchen Position abseits gestellt werden. Aber es ist unsere Aufgabe, eine auf Abrüstung und Demilitarisierung abzielende Bewegung zu initiieren.

Gibt es denn noch Menschen, die dafür auf die Straße gehen? Die Zahl der Marschierer ist rückläufig.

Das ist eine Auf- und Abbewegung. Es hat regional unterschiedliche Akzente bei den Ostermärschen gegeben, die zum Beispiel verhindert haben, dass ein Truppenübungsplatz eingerichtet wurde. Wir leben nicht, wie uns Schröder und Joschka Fischer klar machen wollen, im Zustand des himmlischen Friedens. Und solange das nicht so ist, sehe ich keinen Anlass, dass sich Friedensbewegte zurückziehen könnten.

Sehen das junge Leute auch so?

Es wächst schon was nach in der Friedensbewegung. Wir werden keine Versamlung von Greisen sein.

Warum erkennen Sie nicht an, dass Politiker wie Scharping oder Fischer sich Entscheidungen wie die für einen militärischen Einsatz im Kosovo nicht leicht gemacht haben?

In der Frage des Jugoslawienkrieges standen wir ja nicht allein, sondern mit rechtspolitischen Positionen gemeinsam. Da ist die Verfassung gebrochen worden. Und die Vorkriegszustände halten in der Region an. Die Frage ist, wie die Regierung ihre strategische Position weiter entwickelt. Stichwort 1000 Panzer in die Türkei. Das ist kein Mittel, um friedliche Aktionen voranzutreiben. Ein weiterer Punkt ist Tschetschenien, den wir immer thematisiert haben. Am 16. Dezember haben wir dazu eine Aktion gemacht, und wer nicht kam, waren die, die uns immer vorhalten, wir würden das nicht thematisieren.

Ist die Wahrnehmung also falsch, dass die Aufregung der Friedensbewegung über den Kosovo-Krieg größer war als über Tschetschenien?

Im Kern der Friedensbewegung gab es auch Debatten darüber. Der Fall Tschetschenien ist nicht so leicht zu bewerten wie nach dem Motto: Da sind die bösen Russen dran schuld. Auch die Bundesregierung ist da beteiligt, indem sie latente Absicherung signalisiert.

Trotzdem: In Tschetschenien ist Krieg als Mittel der Politik gewählt worden.

Ja, wie in Jugoslawien. Dagegen haben einige Mahnwachen durchgeführt. Wir bedauern auch, dass nicht mehr Leute gekommen sind.

Wird Tschetschenien bei der Kundgebung am Montag ein Thema sein?

Natürlich, in unserem Aufruf ist das auch erwähnt. Es wird bei den Ansprachen eine große Rolle spielen. Wir machen da nicht die Augen zu. Auch in der Afghanistan-Diskussion hat die Friedensbewegung durchaus differenzierte Positionen eingenommen.

Sie waren nur nicht so klar wie im Golf- oder Kosovo-Krieg.

In verschiedenen Einheiten schon. Aber die Mobilisierung hat immer auch zu tun mit der Wahrnehmung der Leute. Der Golfkrieg wurde als bedrohlich empfunden, entsprechend höher war die Mobilisierung. Auch in den 80er Jahren, als Willy Brandt gesprochen hat, war sich die Friedensbewegung nicht einig, ob man die Nato auflösen sollte und wie man eine friedfertige europäische Landschaft entwickeln kann. Da gab es immer Diskussionen.

Können Sie Beispiele nennen, wo politische Strategien Kriege oder Gewalt verhindert haben?

Man hat uns ja noch nie dran gelassen. Die machtpolitischen Konstellationen waren immer so, dass gesagt wurde, da muss Krieg sein. Es gab nichtstaatliche Peacekeeping-Organisationen, die im Kosovo massiv präsent waren und auf Befehl der Nato und Washingtons rausgezogen wurden, damit militärisches Handeln als einzig mögliche Ratio erschien. Es ist naiv zu glauben, man könne mit Waffengewalt irgendeinen Konflikt lösen.

Mit wie vielen Teilnehmern rechnen Sie am Montag?

Eine Resonanz wie 1998 wäre zufrieden stellend. Es muss uns aber gelingen, mehr Menschen zu gewinnen. Wir können nicht sagen: Das genügt uns. Es gibt bundesweit eine stabile Friedensbewegung, die zu Ostern gemeinsam auftritt.

Und das wird auch in zehn Jahren noch so sein?

Das verspreche ich, weil nicht zu erwarten ist, dass sich die politischen Verhältnisse so schnell ändern, dass wir auf eine friedenspolitische Debatte in unserem Land verzichten könnten.Ich befürchte eher, dass die Militarisierung der Politik zunimmt und wir es in den nächsten Jahren mit noch mehr Kriegen zu tun haben werden.