Die Presse | Wien 20.04.2000

Türkei:
Präsident dringend gesucht

Darf kein Militär sein, muß aber folgen

Für Süleyman Demirel muß bis Mitte Mai ein Nachfolger gefunden werden; sonst drohen den Parlamentsabgeordneten Neuwahlen.

ISTANBUL. Nachdem alle Versuche gescheitert sind, durch eine Verfassungsänderung Süleyman Demirel eine zweite Amtszeit zu ermöglichen, steht in der Türkei das höchste politische Amt zur Vergabe an, und zwar bald. Wenn das Parlament bis Mitte Mai keinen neuen Staatspräsidenten gewählt hat, so müssen sich die Abgeordneten, gleichsam als Strafe für ihre Entscheidungsunfähigkeit, Neuwahlen stellen. Und das will in der Türkei niemand, weder die politischen Parteien noch die Bevölkerung. Trotzdem gibt es bisher keine ernstzunehmende Kandidatur. Aber vielleicht hört man ja aus berufenem Munde einen Vorschlag, dachten wohl die Journalisten, die sich Bülent Ecevit "zum Tee" lud. In dem eher als Wohnbibliothek zu bezeichnenden Haus des dichtenden Regierungschefs gab es Käsebrote und Gebäck, und Ecevits Ehefrau Rahsan, die heimliche graue Eminenz der türkischen Politik, kochte den Tee. Doch Ecevit wollte wirklich nur plaudern oder plaudernd nebenher etwas sagen, nämlich daß der neue Präsident nicht aus seiner eigenen Partei, der DSP, kommen sollte. Dies zielt auf einen Parteigenossen, der seine Kandidatur zwar nie erklärt hat, aber durch Meinungsumfragen in verschiedenen Zeitungen gefördert wird, auf Außenminister Ismail Cem. Doch Ecevit duldet keine Götter neben sich, schon gar nicht in der eigenen Partei - außer Rahsan, die sich aber immer im Hintergrund hält.

Pokerface Yilmaz

Es gibt noch mehr derart "unerklärte" Kandidaten. Einer davon ist der ehemalige Ministerpräsident Mesut Yilmaz von der Mutterlandspartei (Anap). Er wird von seiner Partei selbst landauf, landab als Kandidat empfohlen. Es war vor allem der heimliche Widerstand seiner Fraktion, an dem eine Verlängerung der Amtszeit Demirels gescheitert ist. Doch Yilmaz selbst hat auf der politischen Bühne immer so agiert, als habe er mit der Sache nichts zu tun. Mag sich Yilmaz' Haltung aus politischer Schwäche erklären, beim Führer der rechtsradikalen MHP, Devlet Bahceli, liegen die Dinge etwas anders. Aus der Partei tönt es, daß die nach Ecevits DSP zweitstärkste Partei im Lande nun auch ein hohes Staatsamt anstrebt und daß Bahceli dieses bekleiden sollte. Doch Bahceli hat offenbar keine Lust. Der Grund dafür: Wer in der Türkei Parteiführer ist, hat so viel Macht, daß er so gut wie nicht abzuwählen ist. Als Staatschef müßte Bahceli aber dieses Amt niederlegen und käme vermutlich nicht mehr auf den Posten zurück. Das Amt des Staatschefs ist mithin die beste Möglichkeit, einen Parteichef zu pensionieren, und fast die einzige, ihn los zu werden.

Hohe Ansprüche

Zu all diesen Kalkülen kommen noch einige politische Unvereinbarkeiten, die es schwer machen, das Amt zu besetzen. Der neue Staatschef darf kein Militär sein wegen Europa, er darf kein Islamist oder im Kampf gegen den Islamismus unzuverlässig sein, wünscht wiederum das Militär. Eine Reihe politischer Skandale, die allerdings nie bis auf ihren Grund untersucht wurden, lassen sich indessen trefflich gegen Yilmaz und eine weitere heimliche Kandidatin, Tansu Ciller, ins Feld führen. So ist der Ausgang des Kandidatenroulettes höchst ungewiß: Werden die Medien doch noch Außenminister Cem in den Präsidentensessel hieven? Bleibt Anap-Chef Mesut Yilmaz am Schluß für alle das geringste Übel? Wird in der Not ein Diplomat aus dem Ruhestand geholt? Oder muß am Ende gar Frau Rahsan Ecevit in die Bresche springen?