Südwest Presse 20.4.2000

Türkei / Mehr als 16000 Menschen sollen umgesiedelt werden

Staudamm bedroht ein einzigartiges Kulturerbe

Syrien und Irak sind alarmiert - Das Drei-Milliarden-Mark-Projekt könnte ihnen das Wasser abgraben

Die Pläne sind ehrgeizig: Im kurdischen Südosten der Türkei soll ein gigantisches Staudammprojekt entstehen. Nicht nur die betroffenen Menschen sind dagegen, auch internationales Recht schließt das Projekt eigentlich aus. Denn für den Staudamm müsste ein einzigartiges Kulturdenkmal geflutet werden. Die türkische Regierung stört das wenig.

DIETER BALLE

Vaheb Kusen, der Bürgermeister des 5000-Einwohner-Städtchens Hasankeyf, hat Angst. Als die deutsche Besuchergruppe ihn telefonisch um ein Gespräch über den geplanten Ilisu-Staudamm bittet, lehnt er ab. Der Grund wird beim Betreten der am Tigris gelegenenen Kleinstadt klar: Der türkische Armeeoffizier hat das Sagen. Er will genau wissen, wohin die Besuchergruppe gehen und wie lange sie wo bleiben will. Sein Ton verrät, dass es nicht ratsam ist, von der angegebenen Route abzuweichen.

Hasankeyf ist ein uralter Handelsplatz mit den Resten einer Brücke, über die die legendäre Seidenstraße verlief, der uralte Handelsweg von China ans Mittelmeer. Der Tigris hat sich tief in den weichen Fels eingeschnitten und die Menschen haben Wohnungen hineingeschlagen, die im heißen Sommer wunderbar kühl sind. Einige wenige sind sogar noch bewohnt. Einzigartig für ganz Anatolien ist die seit dem Mittelalter unveränderte Struktur der bewohnten Unterstadt sowie die archäologische Bedeutung der Oberstadt, deren 1000-jährige Geschichte man an Hand von islamischen und christlichen Bauwerken verfolgen kann. Bislang wurden die Ruinen von Hasankeyf nur ungenügend untersucht. Wissenschaftler gehen davon aus, dass dieser einzigartige archäologische Ort Funde bereit hält, die bis in die Antike reichen.

Doch ob es zu weiteren Grabungen kommt, ist fraglich. Denn nach den Plänen der türkischen Regierung wird Hasankeyf in zehn Jahren bis zur Spitze der alten Moschee im Wasser des Ilisu-Stausees versunken sein, der nach dem Atatürk-Staudamm der zweitgrößte in der Türkei werden soll. Das Drei-Milliarden-Mark-Vorhaben ist Teil des ehrgeizigen Südostanatolien-Projekts, kurz GAP, das im Endausbau 22 Staudammprojekte zur Energiegewinnung und Landbewässerung vorsieht. 300 Quadratkilometer Land sollen allein im Rahmen des Ilisu-Projekts überflutet werden. Das macht die Umsiedlung von einigen Dörfern notwendig. Die türkischen Behörden gehen von 12000 bis 16000 Menschen aus, die Londoner Menschenrechtsorganisation Kurdish Human Rights Project rechnet mit 25000 Betroffenen. Konkrete Umsiedlungs- oder Entschädigungspläne gibt es jedoch noch nicht. Vor einigen Wochen sei eine private Firma vor Ort gewesen und habe Fragen nach Besitz und Umsiedlungswünschen gestellt, erzählt ein Bauer. Er habe ihnen gesagt, er wolle nicht weg, da er hier geboren sei. Außerdem: Eine 1000 Jahre alte Kultur wegen eines Staudamms zu opfern, sei mehr als kurzsichtig.

Beim Aufstieg in die Oberstadt treffen wir den 17-jährigen Eyub. Hier oben wohnen nur noch seine Familie und die seines Onkels, deren Häuser teilweise in den Fels gehauen sind. Zwischen den Ruinen stechen lediglich die vollen Wäscheleinen und die TV-Satellitenschüsseln hervor. Die Familien haben rund 20 Ziegen und einige Hühner, die in den ehemaligen Höhlenwohnungen komfortable Ställe besitzen. Die Bewohner hier oben seien gegen den Staudamm, sagt Eyub. Zu mehr kommt er nicht, da zwei Zivilpolizisten auf ihn zukommen und die Besucher nicht mehr aus den Augen lassen. Nach Ansicht der Kommission zur Rettung von Hasankeyf, in der sich angesehene Wissenschaftler und Privatpersonen aus der Türkei zusammengetan haben, würde der Bau des Ilisu-Staudamms nicht nur gegen internationale Wasser-Abkommen, sondern auch gegen türkisches Recht verstoßen. Bereits 1981 wurde Hasankeyf in die Liste der archäologisch denkmalgeschützten Orte ersten Grades aufgenommen, an denen keinerlei Bauvorhaben realisiert werden dürfen. Doch die mächtige türkische Wasserbehörde DSI kann es sich offensichtlich leisten, solche Schutzbestimmungen zu ignorieren. Das DSI hat es im Gleichklang mit dem für den Bau verantwortlichen Konsortium unter Federführung der Konzerne Sulzer Hydo Escher Wyss (Schweiz) und ABB (Schweden) abgelehnt, die Dammhöhe zurückzunehmen, um dadurch wenigstens Hasankeyf zu verschonen. Während die Schweizer Regierung 1998 eine Exportrisikogarantie in Höhe von 400 Millionen Franken unterschrieb, ist das Projekt, das von den am Bau beteiligten Firmen selbst finanziert werden muss, in Großbritannien sowie Italien umstritten.

Geld aus Deutschland?

Die beteiligten Firmen haben auch dort Anträge auf Staatsbürgschaften gestellt. Auch die beteiligte Sulzer-Tochter ¸¸Sulzer Hydro'' im baden-württembergischen Ravensburg hat bei der Bundesregierung einen Hermeskredit von fünf Prozent der Bausumme beantragt, insgesamt rund 150 Millionen Mark. Die Umweltorganisation Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung (WEED) macht dagegen Stimmung. Mit dem Staudamm könne der Weiterfluss des Tigris in die Nachbarländer Irak und Syrien für mehrere Monate unterbrochen werden. Durch dieses ¸¸Erpressungspotential'', so WEED-Sprecherin Heike Drillisch, könnte sich der Kampf ums Wasser in einer eh schon konfliktreichen Region weiter zuspitzen. Die Weltbank hat 1984 eine Beteiligung am GAP wegen des außenpolitischen Konfliktpotentials abgelehnt. Mit der Übernahme einer Hermesbürgschaft würde sich die Bundesregierung am Bruch internationalen Rechts beteiligen, sagt Drillisch.

Wie Presseberichten zu entnehmen ist, will Außenminister Joschka Fischer dem Druck aus dem Wirtschaftsministerium offenbar nachgeben und dem umstrittenen Projekt seinen Segen geben. Doch will man die Zusage eines Hermeskredits an ¸¸harte Konditionen'' knüpfen, wie ein Fraktionssprecher der Grünen gegenüber unserer Zeitung betonte. Dazu gehören Vorgaben zur Entschädigung und Einbeziehung der Bevölkerung ebenso wie Verhandlungen mit den betroffenen Nachbarländer Syrien und dem Irak und die Prüfung von Alternativen in der Stromerzeugung.

Nach Ansicht von Fachleuten des Türkischen Ingenieurs- und Architektendachverbandes könnte man die durch Ilisu geplante Stromerzeugung von 3830 Gigawatt jährlich ohne weiteres durch eine Sanierung des maroden Verteilernetzes und Energiesparmaßnahmen überflüssig machen.

Den Bürgermeister aus Hasankeyf, Vaheb Kusen, würde das nur freuen.