taz 19.4.2000

Verbrüdert sich Schily mit Haider?

Die Familienzusammenführung von Nicht-EU-Ausländern soll europaweit einheitlich geregelt werden. Der portugiesische EU-Kommissar Vitorino hat eine liberale Regelung vorgeschlagen - Bundesinnenminister Otto Schily will sie verhindern

von VERONIKA KABIS-ALAMBA und LUKAS WALLRAFF

Noch bestimmt die "Green Card" die innenpolitische Diskussion um die Einwanderungspolitik. Doch bald werden Rüttgers, die Inder und die Kinder nicht mehr allzu wichtig sein. In Brüssel braut sich was ganz anderes zusammen. Heimlich, still und leise tüfteln die PolitikerInnen im Europarlament an einem Projekt, das weit höhere Wellen schlagen wird als eine kurzfristige Aufenthaltsgenehmigung für ein paar Computerexperten.

Der Familiennachzug von Ausländern aus Nicht-EU-Ländern soll europaweit einheitlich geregelt werden. In den Ländern der EU leben insgesamt etwa 20 Millionen Menschen aus so genannten Drittstaaten - allein in Deutschland 5,5 Millionen. Eine einheitliche Regelung, wie viele Familienangehörige dieser Menschen nachkommen dürfen, hätte weitreichende Auswirkungen. Bisher wird der Familiennachzug in den Ländern der EU nämlich völlig unterschiedlich geregelt. "Und in Deutschland sind sie für die Ausländer am ungünstigsten", sagt die SPD-Europaabgeordnete Margot Kessler.

Wie ihre sozialdemokratischen KollegInnen im Europa-Parlament begrüßt Kessler einen liberalen Vorschlag des portugiesische EU-Kommissars für Innen- und Rechtspolitik Antonio Vitorino (siehe Kasten). Im Moment berät der Innenausschuss des Europaparlaments über Vitorinos Entwurf, im Juni soll er ins Parlament kommen. Wenn sich seine Ideen durchsetzen, müsste Deutschland erheblich mehr Ausländer ins Land lassen. Schon warnte die CDU-Europaabgeordnete Ewa Klamt vor einem Nachzug von "geschätzten 500.000 Menschen pro Jahr".

Doch nicht nur die CDU heult auf. Auch der deutsche Innenminister Otto Schily organisiert bereits den Widerstand. "Aufgezwungene Zuwanderung? Mit mir nicht", soll Schily laut Focus verkündet haben. Der Konflikt mit den eigenen Genossen ist da, wie auch Kessler offen zugibt: "Was Schily sagt, interessiert mich nicht. Wir machen hier in Europa Politik." Doch der SPD-Obmann im Innenausschuss des Europaparlements, Martin Schulz, weiß, dass Schily am längeren Hebel sitzt: Die wackeren EU-Parlamentarier können noch so schöne Beschlüsse verabschieden, entscheiden wird der Rat der Innenminister. Oder wie Schulz sagt: "Vitorino ist ein privater Freund von mir, Schily aber auch."

Gestern wurde das Thema im Brüsseler Innenausschuss kurzfristig vertagt. Aus Zeitnot, weil zunächst andere Punkte anstanden, wie Schulz sagt: "Der Familiennachzug ist ein hoch komplexes Thema, das kann man nicht in fünf Minuten abhandeln. Überhaupt plädiert er für "Sorgfalt statt Schnelligkeit." Die Grünen sehen das anders. Sie befürchten, dass die Entscheidung über den Familennachzug hinausgezögert werden soll, bis die Franzosen Anfang Juli die EU-Präsidentschaft übernehmen. "Unter den Portugiesen hätte Vitorinos Vorschlag bessere Chancen gehabt", mutmaßt Ozan Ceyhun, der für die Grünen im Innenausschuss sitzt und eine brisante Allianz beobachtet hat: "Die CDU, Stoiber, Beckstein, Haider - alle loben Schily." Ceyhun glaubt, dass Schily notfalls auch gemeinsam mit den geächteten Österreichern strikte Regeln durchsetzen will.

Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck, bemüht sich derweil um eine Versachlichung der Debatte. "Wir sind noch früh in den Verhandlungen. Es gibt aus vielen Ländern Einwände gegen Vitorinos Vorschlag, nicht nur von Schily und den Österreichern." Am Ende könnte ein Kompromiss stehen - das glaubt auch SPD-Mann Schulz: "Allzu schnell wird nicht entschieden, und dann wird man sich in der Mitte treffen."