Neue Zürcher Zeitung, 19. April 2000

Wirtschaftliche Aufsteiger und Absteiger

Neue Daten zur Wettbewerbsfähigkeit der Nationen

Das jährlich erscheinende World Competitiveness Yearbook des IMD in Lausanne zeigt, dass die USA und Singapur weiterhin die wettbewerbsfähigsten Staaten der Welt sind. Relativ gut schneiden als Gruppe die skandinavischen Länder ab. Die Schweiz hat sich um einen Platz auf Rang fünf verbessert und damit seit 1996 vier Plätze gutgemacht.

G. S. Wissenschafter streiten sich zwar seit Jahren über die Berechtigung, die Wettbewerbsfähigkeit von Nationen zu messen, aber die Studien, welche die Lausanner Managementschule IMD und das in Genf domizilierte World Economic Forum früher gemeinsam und seit einiger Zeit getrennt Jahr für Jahr publizieren, erfreuen sich dennoch enormen Interesses sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik. Das am Dienstag veröffentlichte World Competitiveness Yearbook 2000 des IMD versammelt erneut eine solche Fülle von Zahlen und Indikatoren, dass der theoretische und methodologische Streit darob notgedrungenerweise verblassen muss.

Anhaltende Spitzenposition der USA

Ganz an der Spitze der 47 untersuchten Länder hat sich gemäss der IMD-Studie auch 2000 nichts geändert. Die USA bleiben die Nummer eins, Singapur - allerdings mit deutlichem Abstand - die Nummer zwei. Die USA sind nicht zuletzt auch wegen ihrer Grösse, die in die Beurteilung der Wettbewerbsfähigkeit einfliesst, so dominant, dass der Abstand zwischen ihnen und Singapur gleich gross ist wie der Abstand von Singapur zu dem auf Platz 23 liegenden Israel.

Interessant sind wie immer die Aufsteiger und Absteiger. Zu letzteren zählt Hongkong, das seit 1998 vom 3. auf den 14. Platz abgerutscht ist, ferner Argentinien, Norwegen, die Türkei, Neuseeland, China, die Philippinen und Taiwan, die alle innert zweier Jahre zwischen sechs und zehn Plätzen verloren haben. Es ist aber keineswegs so, dass Asien insgesamt nur Terrain eingebüsst hätte; so zählen Korea und Thailand nach Island und Schweden und zusammen mit Deutschland zu jenen Ländern, die am meisten Plätze gutgemacht haben.

Ein «nordisches Modell»?

Auffällig ist, wie gut die lange eher unattraktiv erscheinenden skandinavischen Länder dastehen. Mit Finnland auf Platz 3 und Norwegen als «schlechtestem» Land auf Platz 16 dürfte diese Staatengruppe bei weitem am besten abschneiden. Ob man daraus allerdings ein «nordisches Modell» konstruieren will, wie dies der Bericht tut, sei dahingestellt. Für das IMD besteht dieses Modell in ausgeprägten Investitionen in die technologische Infrastruktur und als Folge davon im hervorragenden Ausweis hinsichtlich Internet- Verbreitung, Telekommunikation (vor allem Mobiltelefonie) und Computerdichte. Auch Kontinentaleuropa, lange abgeschrieben, scheint eher auf dem aufsteigenden Ast, obwohl Länder wie Österreich, Frankreich und Belgien noch ziemlich weit von der Spitze entfernt sind.

Ein durchzogenes Bild bietet die lange Vorbildcharakter geniessende angelsächsische Welt. Auf der einen Seite stehen die USA sowie Irland, das am schnellsten wachsende der 47 Länder, das seit 1996 vom 22. auf den 7. Platz vorgestossen ist. Im vorderen Mittelfeld befindet sich ausserdem - im Schlepptau der USA - Kanada. Grossbritannien dagegen steht zwar im europäischen Kontext nicht schlecht da, liegt aber doch deutlich hinter vielen skandinavischen und kontinentaleuropäischen Ländern zurück; ausserdem hat es seit 1998 etwas an Terrain verloren. Noch schlechter ist es Neuseeland ergangen, der einstigen Hochburg liberaler Reformpolitik, das heute nur noch an 21. Stelle gereiht ist.

«Guter» Staat in Singapur und Hongkong

Ein anderes Erfolgsmodell, Japan, verliert ebenfalls zunehmend an Glanz. Noch 1996 lag das Land an 4. Stelle, nun ist es auf den 17. Platz gerutscht. Zu den wesentlichen Ursachen des anhaltenden Abfalls zählt das schwache Wachstum, aber gemäss IMD auch die ungenügende Ausschöpfung des Potentials der «New Economy».

Untersucht man genauer, was zum Erfolg der einzelnen Länder geführt hat, stellt man fest, dass die USA hinsichtlich von sechs der acht verwendeten Kriterien obenausschwingen und auch hinsichtlich der «Qualität» der Bevölkerung (Platz 3) ganz vorne mit dabei sind. Einzig beim Kriterium «Regierung» fällt der Spitzenreiter mit Platz 10 etwas ab. Hier haben Singapur, Hongkong und Irland (in dieser Reihenfolge) die Nase vorn. Interessant ist, dass einige Länder bei manchen Kriterien sehr weit vorne liegen, etwa Island auf Platz eins hinsichtlich der Bevölkerung, Dänemark auf Platz zwei hinsichtlich des Finanzwesens und Japan ebenfalls auf Platz zwei in Sachen Forschung und Technologie, aber wegen massiver Schwächen in anderen Bereichen doch nicht an der Spitze mithalten können.

Unflexible Schweizer

Die Schweiz gehört dagegen nur gerade beim Kriterium Forschung und Technologie zu den ersten drei, verdankt ihren guten 5. Gesamtrang aber einem sehr gleichmässigen Leistungsausweis. Sie hat damit einen weiteren Rang gutgemacht und ist von Platz 9 (1996) über Platz 7 (1998) nun auf ihre heutige Position aufgestiegen. Die Stärken der Schweiz liegen wie eh und je im Finanzbereich (gesamthaft Platz 4), wo sie hinsichtlich der Kapitalkosten sogar absoluter Spitzenreiter ist und mit Blick auf die Dynamik des Aktienmarktes an zweiter Stelle liegt, sowie in der Forschung und Entwicklung, wo sie dank der grossen Zahl von Patenten, den hohen Forschungsausgaben und dem wissenschaftlichen Klima insgesamt sogar an 3. Stelle liegt.

Der schwächste Punkt bleibt dagegen die ungenügende internationale Orientierung der Schweiz, wie sie in der Einwanderungspolitik, einer gegenüber Ausländern eher verschlossenen Mentalität oder der schwachen institutionellen Integration in Europa zum Ausdruck kommt. Immerhin hat sich die Schweiz in diesem Bereich verbessert. Ein Ja zu den bilateralen Abkommen würde wohl eine weitere Stärkung bringen. Die zweite Schwachstelle gemäss IMD ist die Bevölkerung; hier ist die Schweiz in den letzten zwei Jahren vom 7. auf den 12. Platz abgerutscht. Relativ negativ beurteilt werden beispielsweise die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Bevölkerung oder die Aussichten auf ein Beschäftigungswachstum. Und auch der Mythos der besonders fleissigen Schweiz wird relativiert: hinsichtlich der Jahresarbeitszeit liegt die Schweiz gemäss den IMD-Zahlen nur im hinteren Mittelfeld.