Die Presse | Wien 19.4.2000

Israels Marionetten im Südlibanon leben in Angst

Die Soldaten der Südlibanesischen Armee (SLA) fürchten nach dem Abzug der Israelis um ihr Leben.

Von unserer Korrespondentin

ARNOUN/BEIRUT (ag., kna., c. u.). "Das ist ein glorreicher Sieg für die Araber." Mit diesen Worten hat der libanesische Premierminister Selim al-Hoss Israels nunmehr auch offiziell an die UNO weitergeleitete Entscheidung begrüßt, die "Sicherheitszone" im Südlibanon bis zum 7. Juli einseitig zu räumen. Gleichzeitig warnte er, wohl auf Betreiben seiner "Lehensherrn" in Damaskus, vor einer Eskalation der Gewalt, falls Israel seine Armee tatsächlich ohne ein Abkommen mit Syrien einseitig aus dem Südlibanon abziehen sollte. Syrien und den schiitischen Hisbollah-Milizen ist Israels strategischer Schachzug ein Dorn im Auge. Letzteren kommt die Legitimation abhanden. Und Damaskus verliert eine wichtige Trumpfkarte: Über die Hisbollah, deren Transportwege es kontrollierte, konnte es indirekten Druck auf Israel ausüben. Mit dem mulmigsten Gefühl blicken jedoch die rund 2000 Angehörigen der Südlibanesischen Armee (SLA) der Zukunft entgegen. "Al Khiam ist voll mit Deserteuren der SLA", weiß der Lebensmittelhändler Ali Achmad Ghasal zu berichten. "Sie wollen sich mit ihrem Gefängnisaufenthalt von späteren Vorwürfen der Kollaboration freikaufen." 56 Tage saß Ghasal in dem für Folter berüchtigten Gefängnis in der Sicherheitszone, bis er mit dem Hinweis "es war ein Versehen" wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Der Chef des Minimarktes in dem kleinen Städtchen Arnoun, das unmittelbar an die israelische Sicherheitszone angrenzt, war in den Verdacht geraten, mit den schiitischen Guerillas der Hisbollah gemeinsame Sache gemacht zu haben. Alibisuche im Gefängnis

Rund 150 Häftlinge sitzen seinen Schätzungen nach bis heute in Al Khiam. Die meisten davon seien ehemalige SLA-Soldaten. Je näher der von den Israelis in Aussicht gestellte Abzug der Truppen aus dem besetzten Südlibanon rückt, desto stärker verbreitet sich Angst unter denen, die über 20 Jahre lang mit dem Feind kollaborierten. Seite an Seite kämpften die überwiegend christlichen Südlibanesen gegen die schiitischen Freischärler. Berüchtigt war die SLA für besonders grausames Vorgehen. Es ist nach wie vor unklar, was nach einem Abzug der Israelis aus deren Verbündeten werden soll. Berichte der israelischen Tageszeitung "Yediot Achronot" über Pläne, die SLA-Soldaten mit ihren Familien nach Zypern umzusiedeln, blieben ebenso unbestätigt wie eine Meldung der "Jerusalem Post", der zufolge die Asylsuchenden in der Umgebung der israelischen Mittelmeerstadt Naharia angesiedelt werden sollen. Offiziell sind vorläufig lediglich die Versprechungen der Regierung, jeden SLA-Kämpfer, der keinen Unterschlupf in einem befreundeten Nachbarland finden sollte, in Israel aufzunehmen. Ein von dem israelischen Rechtsanwalt Zwi Risch vor dem Obersten Gerichtshof eingereichtes Gesuch auf garantiertes politisches Asyl für die 2000 SLA-Angehörigen und deren Familien, wurde jedoch unterdessen abgewiesen. Es werde unter denen, die im Libanon zurückbleiben, "ein Massaker geben", warnt der Anwalt im Gespräch mit der "Presse". "Diese Leute stehen unter der Anklage des Verrats. Wir alle kennen das Urteil dafür." In den vergangenen Wochen habe es bereits Fälle von Lynchjustiz gegeben. Die Hisbollah streitet Rachegelüste ab. "Es gibt einige Offiziere, an deren Händen das Blut von Unschuldigen klebt", meint Ibrahim Musawi, Sprecher im Beiruter Hisbollah-Hauptquartier. Derer solle sich "die libanesische Regierung annehmen".

Prozesse gegen Überläufer

Rund 200 SLA-Leute haben bereits Strafprozesse hinter sich. Die meisten Verurteilten sind einfache Soldaten, die sich nach dem Abzug aus der südlibanesischen Stadt Jezzin freiwillig den Behörden gestellt hatten. Im Verlauf der Schauprozesse, die regelmäßig mittwochs vor einem Militärtribunal stattfanden, erklärten die Angeklagten zumeist, sie hätten sich der SLA angeschlossen, weil sie dazu gezwungen worden seien oder weil sie keinen Ausweg gesehen hätten, um ihre Familien finanziell zu unterstützen. Die Strafen beliefen sich nach Meldungen des libanesischen "Daily Star" zwischen sechs Monaten und zwei Jahren Haft.