Neue Zürcher Zeitung , 19.04.2000

Ägyptische Arbeiter drängt es wieder in den Irak

Bagdad erlaubt die Einreise mit einem Touristenvisum

Der irakische Präsident Saddam hat die Einreisebeschränkungen für Staatsangehörige fast aller arabischen Länder aufgehoben. Im irakischen Konsulat in Kairo ist der Andrang seither gross. Vor allem ägyptische Handlanger und Schulabgänger hoffen, trotz allen Widrigkeiten im Irak ihr Glück machen zu können. Die ägyptische Regierung erschwert die Ausreise.

ber. Kairo, 18. April

Mohammed Abdeljawad steht in Tränen aufgelöst vor dem irakischen Konsulat in Kairo. In der Hafenstadt Nuweiba im Sinai habe ihn die ägyptische Grenzpolizei ohne Erklärung zurück nach Kairo geschickt, berichtet er den rund 50 Ägyptern, die im Konsulat ein Visum beantragen wollen. Dabei sei die Einreise nach Jordanien doch erlaubt; ausserdem habe er ein irakisches Visum für einen einmonatigen Aufenthalt im Irak vorweisen können. 30 Pfund, umgerechnet 15 Franken, kostet die Reise nach Nuweiba, dazu kommen die Visumskosten von 90 Franken - ein kleines Vermögen für einen jungen Mann, der im vergangenen Sommer die Realschule beendet und in seiner Heimatstadt im Nildelta bisher keine Arbeit gefunden hat. Dennoch will Abdeljawad sein Visum erneuern lassen und es nochmals probieren. Er ist einer von rund 3000 meist jüngeren Männern, die einem Aufruf des irakischen Präsidenten an Angehörige arabischer Staaten gefolgt sind, den Irak zu besuchen. Für Ägypter war die Einreise in den Irak seit dem Golfkrieg 1991, als Kairo auf der Seite Amerikas gegen Bagdad kämpfte, verboten. Ähnliche Einreisebeschränkungen galten auch für die Staatsangehörigen der übrigen arabischen Länder mit Ausnahme Jordaniens und Jemens.

Vergessene Leiden

Was treibt Abdeljawad und seine Freunde in den Irak? In Ägypten hätten sie keine Arbeit gefunden, und deshalb wollten sie ihr Glück anderswo versuchen, meint einer lakonisch. Der Irak sei das einzige Land, das momentan Visa beziehungsweise Arbeitsbewilligungen ohne Einschränkungen erteile. Der Irak sei das richtige Land für ungelernte Arbeiter, fügt ein anderer schmunzelnd hinzu. Keiner der Männer, die vor dem irakischen Konsulat warten, hat eine Berufsausbildung abgeschlossen. Einige sind angelernte Maurer, Maler und Verputzer, andere haben einen Real- oder Oberschulabschluss. Eine dritte Gruppe besteht aus Landarbeitern, die im Nildelta für einen Tagelohn von ein bis zwei Franken je nach Saison die Felder umgraben oder die Ernte einbringen. Der Erlass Saddams habe sich wie ein Lauffeuer verbreitet und schnell hätten sich ganze Gruppen auf den Weg zum irakischen Konsulat gemacht, erzählt ein angelernter Maurer. Es heisse, das Ende des Uno-Embargos gegen den Irak stehe kurz bevor. Die Ägypter wollten sich schon jetzt die besten Positionen für den Wiederaufbau sichern. Abdeljawad und seine Freunde erinnern lautstark daran, dass der Irak während der acht Jahre des iranisch-irakischen Krieges dank seiner unkomplizierten Einreisebestimmungen ein Lieblingsland arbeitswilliger Ägypter war. Die schlechte Behandlung durch die Iraker haben sie vergessen.

Um Arbeitsplätze für die Einheimischen frei zu machen, wurde nach dem Waffenstillstand von 1988 der den Gastarbeitern in Devisen ausbezahlte Lohnanteil drastisch gekürzt. Laut irakischen Schätzungen befanden sich vor dem zweiten Golfkrieg vier Millionen Ägypter im Irak. Nach Angaben des unabhängigen Ägyptischen Unterstützungskomitees für den Irak sind von ihnen nur 120 000 geblieben. Diese hätten im allgemeinen ein eigenes Geschäft und seien mit einer Irakerin verheiratet.

Befürchtungen der Kriminalpolizei

Laut dem irakischen Konsul in Kairo, Jamal al-Badri, stehen die Ägypter auf der Liste der arabischen Antragsteller für ein irakisches Visum an erster Stelle. Ihre Aussichten, mit einem Touristenvisum einzureisen und dann eine Arbeit zu finden, seien gut. Die Iraker wollten trotz ihrer schwierigen Lage keine schwere Arbeit leisten. Finde ein Ausländer eine Stelle, erhalte er unverzüglich eine Aufenthaltsbewilligung und komme automatisch in den Genuss von verbilligten Grundnahrungsmitteln. Allerdings dürften die Gastarbeiter nicht wie früher Devisen ausführen; die Löhne seien zudem niedrig, die Inflation sehr hoch. Das sei den Ägyptern bekannt. Ausreisewillige gebe es dennoch, doch die ägyptischen Behörden schickten sie nun vom Hafen Nuweiba, wo sie die Fähre nach Jordanien und weiter den Bus nach Bagdad nehmen wollten, häufig wieder zurück. Der Konsul gibt an, er kenne die Gründe für diese Praxis nicht. Mitglieder des Unterstützungskomitees führen die Behinderungen auf die angespannten bilateralen Beziehungen sowie auf die kritische Wirtschaftslage des Iraks zurück. Die ägyptische Regierung befürchte, dass die ägyptischen Arbeitssuchenden im völlig verarmten und heruntergekommenen Bagdad keine Arbeit fänden und schliesslich auf Staatskosten wieder in die Heimat geschafft werden müssten. Die Polizei wiederum sieht einen Zusammenhang zwischen der Rückkehr von Millionen von Irak-Ägyptern in den vergangenen zehn Jahren und dem gleichzeitigen enormen Anstieg der Kriminalität in Ägypten. Sie behauptet, die Täter seien zu einem grossen Teil arbeitslose Rückkehrer.