DER STANDARD Mittwoch, 19. April 2000

Exil, Folter und 87 Todesfälle

Die dritte "Writers in Prison"-Weltkonferenz in Katmandu

STANDARD-Mitarbeiter Andreas Kövary

Katmandu - Anfang April fand in Katmandu die dritte Weltkonferenz der "Writers in Prison" statt. Die WiP-Komitees sind sozusagen die Sektion für Menschenrechte des Internationalen P.E.N.-Clubs. Sie setzen sich in enger Zusammenarbeit mit Amnesty International und anderen NGOs für Schriftsteller und Journalisten in aller Welt ein, die einzig aufgrund der Tatsache, dass sie ihr allgemeines Menschenrecht des freien Wortes (ohne irgendeine Form von Gewaltanwendung) ausgeübt haben, von Repressalien, Inhaftierungen oder Folter bis hin zur physischen Vernichtung bedroht sind.

Zweimal im Jahr kommt eine "Case-List" heraus, eine 60 Seiten starke Broschüre, mit allen Fällen, die das Zentralbüro in London recherchieren konnte. Die Türkei und China halten in jeder Ausgabe mit je rund acht Seiten den traurigen Rekord. Nicht weiter verwunderlich also, dass der heimliche Mittelpunkt der heurigen Konferenz die junge türkische Schriftstellerin Asla Erdogan war, die Vertreterin der türkischen WiP (die sogar in der Türkei existiert, wenn sie ihre Funktion auch nur sehr bedingt ausüben kann).

Morddrohungen

In ihrer Person ist ein "Fall" zu orten, der durchaus in der nächsten "Case-List" aufscheinen dürfte. Asla Erdogan lebt in ihrer Heimatstadt Istanbul gefährlich - nicht nur, weil ihr Haus seit dem Erdbeben vor zwei Jahren einen Riss aufweist und einsturzgefährdet ist. Sondern vor allem, weil es vom Kurden-Problem über die Frauenfrage bis zu den Zuständen in den Gefängnissen kein heißes Eisen gibt, das sie in ihrer wöchentlichen Kolumne in der Zeitung Radikal nicht angreift. Was ihr vom Abhören des Telefons über Morddrohungen bis zu einer Vorladung auf die Polizeipräfektur, bei der ihr mitgeteilt wurde, dass eine Untersuchung gegen sie eingeleitet worden sei, bereits alles Denkbare an Einschüchterungsversuchen eintrug.

Vertreter aus 36 Nationen nahmen an der vom nepalesischen P.E.N. organisierten Konferenz im Central Gedawari Resort 15 Kilometer südlich von Katmandu teil. Alle waren sich einig, dass sie das bisher gelungenste und auch inhaltlich ergiebigste Welttreffen gewesen sei.

"Cities of Refuge"

Zum ersten Mal war das Meeting in Arbeitskreise aufgeteilt worden, die einander am Abend eines jeden Tages von ihren Fortschritten berichteten. Allein im letzten Jahr sind 87 WiP-Fälle - mehr als die Hälfte waren Journalisten - tödlich ausgegangen. So behandelte ein Arbeitskreis die Frage, ob Journalisten, für die sich WiP schon seit Anfang der 90er-Jahre einsetzt, nicht denselben Status wie Schriftsteller erhalten sollten. Eine andere Gruppe widmete sich dem Problem der Zusammenarbeit mit dem von Salman Rushdie beim Europarat in Straßburg gegründeten "Parliament of Writers". Diese Institution hat ein Netzwerk von "Cities of Refuge" ins Leben gerufen - für Autoren, die zwar ihre Freiheit wiedererlangt haben, diese aber mit dem Exil büßen müssen.

Eine enge Kooperation mit der Arbeit der WiP-Komitees in aller Welt drängt sich daher geradezu auf. Trotzdem funktioniert diese so mangelhaft, dass man sich gezwungen sah, eine eigene Sektion "Writers in Exile" zu gründen, die die gleiche Funktion innerhalb des P.E.N. übernehmen soll. Da man aber in dieser Frage gespalten ist, konnte keine Resolution erarbeitet werden.

Ausnahmezustand

Um so einhelliger ging die Wahl des neuen Chairman vonstatten: auf den türkischstämmigen Briten Moris Farhi, dessen Amtszeit abgelaufen war, folgt der "norwegische" Schwede Eugene Schoulgin.

Zum Ausklang der Konferenz hielt Nepal noch eine kleine Überraschung bereit. "Maoistische Rebellen" hatten zum zehnten Jahrestag eines blutigen Massakers vor dem Königspalast einen Streik ausgerufen. Darauf reagierte die Regierung mit der Verhängung des Ausnahmezustandes, der den Verkehr just an dem Tag, an dem die Delegierten abflogen, lahm legte: Die Teilnehmer der Konferenz mussten von der Polizei zum Flughafen eskortiert werden.