Frankfurter Rundschau 17.4.2000

Wer folgt Demirel?

Türkei auf Präsidentensuche

Von Gerd Höhler (Athen)

Während sich der türkische Staatspräsident Süleyman Demirel auf seinen Abschied vom höchsten Staatsamt vorbereitet, beginnt die Suche nach einem Nachfolger. Die Präsidentenkür wird eine schwierige Prozedur.

Viel Zeit bleibt den Parteiführern nicht. Am 25. April läuft die Frist zur Nominierung der Kandidaten ab, am Tag darauf beginnt das Abstimmungsverfahren im Parlament. Viele Namen werden gehandelt, aber ein kompromissfähiger Bewerber ist bisher nicht in Sicht. Für zusätzliche Nervosität in Ankara sorgen nun Spekulationen um den Gesundheitszustand von Premier Bülent Ecevit (ap-Bild). Er hatte seit vorvergangenem Wochenende alle Termine abgesagt. Offiziell heißt es, Ecevit leide an einer Virusgrippe, die er sich bei einem Indien-Besuch Anfang des Monats geholt haben soll. Nicht alle glauben an einen harmlosen Infekt. Schon seit Monaten wirkt der 74-Jährige entkräftet und mitunter geistesabwesend. Gerüchte, wonach er an einer unheilbaren Krankheit leide, werden stets dementiert, halten sich aber hartnäckig. An einemKoalitions-Spitzengespräch über die Präsidentschaftsfrage am Freitag, das ohne Ergebnis blieb, nahm er jedoch teil.

Nun gibt es auch Zweifel an der politischen Urteilskraft des Premiers. Ursprünglich hatte Ecevit gehofft, Demirel mittels einer Verfassungsänderung eine Verlängerung seiner Ende Mai ablaufenden Amtszeit verschaffen zu können. Aber schon Ende März zeichnete sich ab, dass es im Parlament dafür keine Mehrheit gab. Dennoch hielt der Premier störrisch am Plan fest. Er scheiterte bei der entscheidenden Abstimmung. Dass der alte Fuchs Ecevit dieses Fiasko nicht kommen sah, gilt Beobachtern als Indiz, dass ihm die Fäden zu entgleiten beginnen.

In einem auf dem Krankenlager verfassten Schreiben mahnte der Regierungschef nun seine Koalitionspartner, die national-liberale Mutterlandspartei (Anap) und die rechtsextremistische Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), in der Präsidentenfrage "Harmonie" zu wahren. Das wird nicht leicht sein. Es droht Streit. Die MHP meldet offen Ansprüche auf das höchste Staatsamt an. Nachdem die anderen beiden Koalitionspartner bereits den Regierungschef und den Parlamentspräsidenten stellen, glauben die Nationalisten nun an der Reihe zu sein. Auch dem Anap-Chef Mesut Yilmaz werden Präsidial-Ambitionen nachgesagt. Der DHP-Vorsitzender Devlet Bahceli erklärte bereits, in Frage kämen nur Kandidaten, die "ehrlich und moralisch integer" seien. Das war offensichtlich eine Attacke gegen Yilmaz, der früher mit nie ganz geklärten Korruptionsvorwürfen konfrontiert war. Um Koalitions-Konflikte zu vermeiden, möchte Ecevit die Kandidatensuche nun auf überparteiliche Persönlichkeiten ausdehnen. Bekommt auch nach vier Abstimmungsrunden kein Kandidat die absolute Mehrheit, muss das Parlament aufgelöst werden. Diese Aussicht könnte dafür sorgen, dass die Kür letztlich doch noch glückt. Denn viele Abgeordnete müssen fürchten, bei Neuwahlen ihr Mandat zu verlieren.