Westdeutsche Zeitung 16.4.2000

Einwanderungsdebatte im Zeichen des Wahlkampfs

Berlin (dpa) - In einer vom Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen geprägten Debatte hat der Bundestag am Donnerstag heftig über die Green-Card-Pläne der Bundesregierung und die Zuwanderungspolitik gestritten.

Der CDU-Vizevorsitzende Jürgen Rüttgers und Spitzenkandidat für die NRW-Landtagswahl am 14. Mai lehnte die Pläne der Regierung, für eine begrenzte Zeit ausländischen Computerspezialisten ins Land zu holen, als unvorbereitet und unkoordiniert ab.

Die Koalition warb für den Vorstoß von Kanzler Gerhard Schröder (SPD), mit dem Engpässe bei der Informationstechnologie (IT) behoben werden sollen. Die FDP setzte sich für eine gesteuerte und begrenzte Zuwanderung ein.

Rüttgers wiederholte seine umstrittene Forderung, «Ausbildung statt Einwanderung». Arbeitsminister Walter Riester (SPD) sprach von «Verhetzungsparolen» und forderte Rüttgers auf, seine Kampagne zu beenden. Innenminister Otto Schily (SPD) bot allen Parteien einen Dialog über die Einwanderungspolitik an. Einer Grundsatzdiskussion könne man nicht ausweichen. Die Frage, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei, müsse «frei von Tabus und Vorurteilen» erörtert werden.

Die Grünen, sagte ihr Abgeordneter Matthias Berninger, seien bereit für die Diskussion. Ein Koppelgeschäft Asyl gegen Einwanderung lehnten sie aber ab. Der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) trat für eine Änderung des Grundrechts auf Asyl ein. «Wir müssen weniger haben von denen, die uns ausnützen und mehr von denen, die uns nützen», sagte er.

In der über weite Strecken emotionalen Debatte warf Rüttgers der rot-grünen Regierung vor, die Zukunft zu verschlafen. «Die Green Card ist ein Signal der Ohnmacht, nicht des Aufbruchs.» Für die Probleme in diesem Bereich machte Rüttgers - einziger Redner seiner Fraktion - auch die Wirtschaft verantwortlich. Es seien 30 000 Computerexperten und 50 000 Ingenieure arbeitslos. Es sei falsch zu behaupten, die offenen Stellen könnten nicht besetzt werden.

Den Verdacht Rüttgers, mit der Anwerbeaktion unterstütze die Bundesregierung Lohndumping, quittierte Schily mit der Bemerkung: «Reden Sie doch kein dummes Zeug daher.» Spitzenkräfte erhielten Spitzengehälter. Die Informationstechnologie sei die Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhundert. Die Anwerbung von ausländischen Experten entlaste den Arbeitsmarkt, da jeder IT- Arbeitsplatz drei bis fünf weitere Arbeitsplätze entstehen lasse. Die Regierung handle hier im Interesse der Wirtschaft.

Schily wies darauf hin, dass Einwanderung nur auf europäischer Ebene gelöst werden könne. «Es gibt keine isolierte deutsche Innenpolitik mehr.» Man müsse eine weitgehend ungesteuerte Zuwanderung durch eine Zuwanderungspolitik ersetzen, «die aktiv und offensiv gestaltet wird».

Riester warf der Vorgängerregierung vor, ohne jegliche Bedingungen aus Osteuropa 56 000 Arbeitskräfte für die Branchen Bau, Stahl und Landwirtschaft geholt zu haben. Davon seien 43 000 noch da. Wenn Rüttgers mit seiner Kampagne nicht aufhöre, werde er die Arbeitslosen in diesen Bereichen ausweisen lassen. Die jetzige Regierung habe die Arbeitserlaubnis für 20 000 IT-Spezialisten an die Bedingung gebunden, 20 000 Ausbildungsplätze zu schaffen. Wenn der frühere Zukunftsminister Rüttgers die Fehler nur bei anderen suche, grenze das «an Heuchelei, die kaum zu überbieten ist».

Zu dem heftig kritisierten Rüttgers-Satz «Kinder statt Inder» sagte FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle: «Es ist besser, ein indischer Computer-Experte kommt nach Deutschland, als ein deutsches Computer- Unternehmen geht nach Indien.» Westerwelle trat für eine gesteuerte Zuwanderung ein, «die sich an wohlverstandenen nationalen Interessen» ausrichtet.