Die Presse (A) 15.4.2000

"Esel, auf dem Ankara in EU will"

Türkische Zyprioten skeptisch

Bei der Präsidentenwahl am heutigen Samstag schwanken viele türkischen Zyprioten zwischen Hoffnung auf einen EU-Beitritt und Angst vor der Rückkehr der Inselgriechen.

Von unserem Korrespondenten JAN KEETMAN

NIKOSIA. Die sozialdemokratische Partei für die Befreiung der Gesellschaft (TKP) hat eine Band, einen Sänger und eine Sängerin aufgeboten und an diesem Abend 2000 Menschen auf den Platz am Girne-Tor in Lefkosa, dem türkischen Teil der geteilten Stadt Nikosia, gelockt. Natürlich kommt auch ihr Kandidat für die Präsidentschaftswahl in der international nicht anerkannten Türkischen Republik Nordzypern, der langjährige Bürgermeister von Lefkosa, Mustafa Akinci. Seine Rede kreist um eine Lösung des Zypernkonfliktes und den erhofften Eintritt der Insel in die EU, und natürlich nimmt er den Amtsinhaber Rauf Denktasch, der seit 43 Jahren als Führer der Inseltürken fungiert, aufs Korn: "Es gibt Leute, die sagen, selbst wenn es eine Lösung gibt, wollen wir nicht vor der Türkei in die EU," donnert Akincis Stimme über den Platz und zieht gleich die Konsequenz: "Wenn wir uns so verhalten, dann wird 2003 oder 2004 der griechische Teil allein in die EU eintreten . . ." Akinci hat zur Untermalung seines Friedenswillens zwei weiße Tauben vor sich auf dem Rednerpult sitzen. Um das Publikum nicht zu langweilen, weist er immer wieder darauf hin, daß er gleich fertig ist und dann die Sängerin kommt. Doch das ist unnötig. Die Menge hängt gespannt an seinen Lippen, denn das Thema Europa zieht die Leute ganz von selbst in den Bann. Es gibt keinen Kandidaten, der es ausläßt. Selbst Denktasch beginnt von seiner Formel, daß Zypern nur gemeinsam mit der Türkei in die EU eintreten werde, behutsam abzurücken.

Denktasch blickt zurück

Auch Denktasch greift in seiner Wahlrede auf dem Atatürk-Platz Ängste auf. Er werde dafür sorgen, daß "keine Griechen zwischen die Türken gesetzt werden". Auf den Gesichtern der anwesenden Bauern ist Zustimmung zu lesen, auch als er sagt, er sehe sein Amt nicht nur als die Vertretung der Rechte der türkischen Zyprioten an, sondern er wolle auch "die Rechte des Mutterlandes" bezüglich Zyperns vertreten. Klein und rund wie ein Faß ist Denktasch doch der bei weitem beste Redner in diesem Wahlkampf, einmal charmant, dann treffend, dabei fast immer mit der Vergangenheit beschäftigt, mit dem den Türken von den Griechen angetanen Unrecht. Dies wirkt vor allem auf die zugewanderten anatolischen Bauern, während viele der städtischen alteingesessenen Türken offenbar mehr von der Aussicht auf den EU-Beitritt und auf ein Ende des wirtschaftlichen Embargos gegen den türkischen Inselteil angezogen sind. Das vorherrschende Gefühl im türkischen Teil Zyperns ist Unsicherheit. Erstmals ist es nicht mehr ganz gewiß, daß Denktasch den Sieg davonträgt, denn alle Lager sind gespalten. Die von Denktasch selbst gegründete Partei der nationalen Einheit (UBP) unterstützt einen anderen Kandidaten, Dervisch Eroglu. Der Grund ist Kritik an Denktaschs Führungsstil; inhaltlich gibt es keine Differenzen. Den beiden stehen sechs weitere Kandidaten gegenüber, die alle mehr oder weniger Abstand zur Politik der Türkei halten, vom gemäßigten Mustafa Akinci, bis zum radikalen Arif Hasan Tahsin Desem, welcher der Türkei vorwirft, die Zypernfrage als Faustpfand zu mißbrauchen. "Zypern ist der Esel, auf dem die Türkei in die EU reiten will."

Wirtschaftliche Probleme

Doch die Unsicherheit betrifft nicht nur den Ausgang der Wahl. Unsicherheit herrscht auch bezüglich der wirtschaftlichen Lage, wofür unter anderem die Bankenkrise verantwortlich ist, und sicher haben viele auch Angst vor einer möglichen Wiedervereinigung der beiden Inselhälften, welche die 170.000 Türken auf Zypern wieder in die Lage einer Minderheit gegenüber einer halben Million Griechen bringen würde. Doch trotz der Schrecken der Vergangenheit ist die Angst vor einem Zusammenleben offenbar bei denen am geringsten, die dieses Zusammenleben noch von früher kennen.