Frankfurter Rundschau 15.04.2000

Kommentar

Wehret den Anfängen Schilys Vorstoß gegen das Asylrecht ist mehr als der Sololauf eines chronisch einzelgängerischen Ministers

Von Richard Meng

Was treibt Otto Schily, immer wieder zu sticheln gegen das Asylrecht in der bisherigen Form und seine weitere Verwässerung über eine europaweite Regelung zu betreiben? Es ist die falsche Frage, wenn sie nur zur Seelenforschung bei einem chronisch einzelgängerischen Minister führt. Die richtige Frage ist: Warum beendet die SPD nicht mit einer glasklaren Festlegung all diese Spekulationen? Warum erklärt der Kanzler nicht klipp und klar, dass der Asylparagraf des Grundgesetzes nicht zur Debatte steht, Schily hin oder her? Wenn das Ziel "Konsens" ernst gemeint wäre, mit dem der Minister seine neuesten Bemerkungen ummäntelt hat, wäre die Klarstellung jetzt fällig. Denn Konsens auf Parteiebene ist bei Rot wie bei Grün, dass dieses Thema gerade kein Thema sein soll.

Dass dieses klare Wort ausbleibt und der Minister munter weiter Steine ins Wasser werfen darf, ist nur damit zu erklären, dass die kleinen Resonanzwellen erwünscht sein könnten. Im politischen Spiel mit dem Vorurteil vier Wochen vor der NRW-Wahl versuchen CDU und CSU gerade wieder, Einwanderungspolitik gegen individuelles Asylrecht aufzurechnen. Und die SPD, mit dem halbgaren Green-Card-Vorstoß des Kanzlers selbst in die endlich beginnende Einwanderungsdebatte hineingeschlittert, duckt mit Schilys Angebot einer "vorurteilsfreien Debatte" zum Asylrecht weg vor der Auseinandersetzung mit den Konservativen. Unangenehme Themen schnell neutralisieren - die Taktik ist durchsichtig. Und doch war es immer schon der erste Schritt zum Nachgeben, wenn niemand mehr den Anfängen wehrt. In diesem Fall: sehenden Auges und mit Vorsatz.