Südostschweiz Presse 12.04.2000

Das Phänomen Emmen ist überall

Auch im Glarnerland werden Einbürgerungsgesuche willkürlich und pauschalisierend abgelehnt

Der gebürtige Kurde Nawzad Kareem scheiterte zweimal mit einem Einbürgerungsgesuch vor dem Niederurner Tagwen, obschon er perfekt Deutsch spricht und in seiner neuen Heimat bestens integriert ist. Einbürgerungsdaten belegen, dass es sich dabei nicht um einen Einzelfall handelt.

VON CHRISTOPH LEIBER

In seinem Leben sei er bislang in zwei Situationen völlig machtlos gewesen, besinnt sich Nawzad Kareem mit leiser, aber bestimmter Stimme: das erste Mal bei seiner Geburt, das zweite Mal 40 Jahre später, als ihm das Schweizer Bürgerrecht gleich zweimal verwehrt worden sei. «Da haben andere Menschen einfach so über mein Leben entschieden, ohne dass sie mich überhaupt richtig kannten», sagt der gebürtige Kurde aus dem Nordirak traurig, und dabei verliert sich sein Blick gedankenversunken ins Weite. Nawzad Kareems Schicksal wurde 1974 am geopolitischen Schachbrett besiegelt, als Saddam Hussein mit dem Schah von Persien ein Abkommen traf und dieser in der Folge der irakischen Kurdenopposition seine langjährige Unterstützung entzog. Dadurch erhielt der Schlächter aus Bagdad freie Hand für brutalste Repressionen; anders Denkende wurden zu Tausenden hingemetzelt, darunter auch Kareems Vater, der sich als Politiker für die Unabhängigkeit seiner Heimat einsetzte. Der Sohn, damals Student und ebenfalls für die Sache des kurdischen Volkes engagiert, entrann dem drohenden Tod durch seine Flucht in die Schweiz. Man schrieb das Jahr 1983.

Ohne neue Heimat staatenlos Inzwischen hat sich Nawzad Kareem in seinem Gastland eine neue Existenz aufgebaut. Seit seiner Ankunft hat er stets gearbeitet und sich daneben während Jahren aus- und weitergebildet. Heute ist Kareem, der ein Diplom der Höheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) besitzt, Leiter des Durchgangszentrums für Asylbewerber in Ennenda. Dass der gebürtige Iraker neben Kurdisch, Arabisch, Persisch und Englisch mittlerweile auch perfekt Deutsch spricht, versteht sich da von selbst. Nawzad Kareem hegte nur noch einen Wunsch: wieder eine Heimat zu finden. De facto gilt er nämlich als staatenlos, weil er über keinen irakischen Pass mehr verfügt, sondern nur über einen UN-Flüchtlingsausweis. Überdies fühle er sich heute mehr als Schweizer denn als Ausländer, bekennt der hagere Mann mit funkelnden Augen: «Ich arbeite, verdiene gut, lebe seit 17 Jahren in der Schweiz und bin sozial völlig integriert.» Frohen Mutes reichte er deshalb an seinem Wohnort Niederurnen ein Einbürgerungsgesuch ein und wartete sehnlichst auf den Abstimmungstermin. Doch der 27. September 1998 geriet zu einem der schwärzesten Tage im Leben des Nawzad Kareem: Sein Antrag wurde von den Niederurner Tagwensbürgern in einer geheimen Urnenabstimmung gnadenlos abgeschmettert, und zwar mit 131 zu 202 Stimmen. Bei einem zweiten Gesuch, das der staatenlose Flüchtling umgehend stellte, fiel das Ergebnis noch deutlicher aus: 92 Ja zu 232 Nein. Der glücklose Gesuchsteller fiel aus allen Wolken, weil er davon ausgegangen war, das erste Mal bloss an seinem geringen Bekanntheitsgrad im Dorf gescheitert zu sein. «Das war für mich ein Schlag ins Gesicht», erinnert er sich konsterniert, während seine Hände hilflos an einem Kugelschreiber herumfingern. Offensichtlich hätten die Niederurner Tagwensbürger in einer Trotzreaktion erst recht alle Vorurteile gegenüber Ausländern auf ihn projiziert. Diese Einschätzung wird von namhafter Seite bestätigt: Exponenten der kantonalen Verwaltung, welche mit Kareem beruflich in Kontakt stehen, sprechen unumwunden von einem willkürlichen und ungerechten Entscheid. Luigi Bertini, Chef der Fremdenpolizei, etwa hebt hervor, er habe den Leiter des Ennendaner Durchgangszentrums in täglicher Zusammenarbeit kennen und schätzen gelernt. Demgegenüber geben sich die Niederurner Behörden zurückhaltender oder «neutral», wie sich Gemeindepräsident Kurt Hämmerli ausdrückt. Seiner Ansicht nach ist das erste Gesuch Kareems daran gescheitert, dass sich der Antragsteller nicht ausreichend um Kontakte zur Bevölkerung bemüht habe, das zweite an der Sturheit des Irakers, welcher einen demokratischen Entscheid nicht habe akzeptieren wollen. «Der Stimmbürger lässt sich nicht an der Nase herumführen», folgert Hämmerli aus dem unerbittlichen Verdikt. Er selbst habe dem gescheiterten Einbürgerungswilligen nach der ersten Abstimmung nahegelegt, ein zweites Gesuch erst im Jahre 2003 einzureichen: Dannzumal wird Kareem nach Art. 22 des kantonalen Bürgerrechtsgesetzes einen Anspruch auf Einbürgerung geltend machen können (siehe unten).

Trendwende in den Neunzigerjahren Sowohl Hämmerli als auch Gemeindeschreiber Stefan Pleisch weigern sich, die ablehnenden Entscheide gegenüber Nawzad Kareem als willkürlich und pauschalisierend einzustufen. Dies obschon in Niederurnen gewisse Tendenzen unverkennbar sind: Seit dem 3. März 1991 ist nur gerade ein Einbürgerungsgesuch von sieben an der Urne gutgeheissen worden, während zwischen dem 28. Mai 1978 und dem 3. März 1991 noch elf von 13 Anträgen angenommen worden waren. Dabei fällt auf, dass die Gesuchsteller der Jahre 1978 bis 1991 grösstenteils aus dem heutigen EU-Raum stammten, die Einbürgerungskandidaten der Neunzigerjahre indessen fast ausschliesslich aus dem Balkan und Kleinasien eingewandert (beziehungsweise geflüchtet) sind. Ein Vergleich mit der kantonalen Einbürgerungsstatistik zeigt ausserdem, dass ein Drittel aller 21 im vergangenen Jahrzehnt abgelehnten Gesuche auf die Gemeinde Niederurnen zurückgehen. Womit dies zusammenhängt, ist allerdings unklar; es lässt sich nicht ausschliessen, dass der hohe Ausländeranteil in der Region (27,8 Prozent in den Gemeinden Bilten, Niederurnen und Oberurnen bei einem kantonalen Durchschnitt von 21 Prozent) kollektive Ängste und Abwehrreaktionen gegenüber Einbürgerungswilligen massgeblich beeinflusst. Deutlich belegbar sind jedenfalls die Spuren, welche der Balkankrieg im Einbürgerungswesen des Kantons Glarus hinterlassen hat: Wie die aus dem Amtsbericht entnommenen Daten aufzeigen (siehe Statistik), ist sowohl die Anzahl der eingebürgerten als auch der in Abstimmungen gescheiterten Personen in den Neunzigerjahren markant angestiegen.

Dürftiges Zahlenmaterial Ob bei den abgelehnten Gesuchen Pauschalwiderstände gegenüber gewissen Ausländergruppen auf das Stimmverhalten ausschlaggebend gewesen sind, lässt sich auf Grund des verfügbaren Zahlenmaterials jedoch nicht beurteilen, da die vom kantonalen Bürgerrechtsdienst erhobene Statistik nicht weiter aufgeschlüsselt ist, weder nach Gemeinden noch nach Herkunft der Gesuchsteller; zudem werden Anspruchs- und Einkaufseinbürgerungen (siehe unten) in derselben Kategorie erfasst. Dennoch zeichnen sich auch im Glarnerland klar und deutlich dieselben Tendenzen ab, welche seit dem Einbürgerungsdebakel von Emmen in der ganzen Schweiz für Gesprächsstoff sorgen: Am 24. Oktober 1999 teilte Nawzad Kareem sein Schicksal mit vier weiteren Gesuchstellern aus Ex-Jugoslawien und der Türkei, während sämtliche fünf Anträge italienischer Kandidaten diskussionslos gutgeheissen wurden.