Der Kurier 10.4.2000

Athens Aufholjagd für den Euro

Griechenlands volle Integration in der EU ist für die beiden Wahl-Kontrahenten Simitis und Karamanlis das unbestritten vorrangige Ziel n Athen war am Sonntag eine lange Nacht des Wartens und des gründlichen Zählens angesagt: Da die regierende Panhellenische Sozialistische Bewegung (PASOK) unter Ministerpräsident Kostas Simitis und die konservative Neue Demokratie (ND) unter dem jungen Herausforderer Kostas Karamanlis in den Prognosen zuletzt eng beieinander lagen, kam es buchstäblich auf jede Stimme an. Immerhin sichert das griechische Wahlrecht der stärksten Partei - und sei ihr Vorsprung noch so klein - eine absolute Mehrheit im Parlament.

Griechenlands Partner in der EU konnten dem Wahlausgang gelassen entgegensehen: An der pro-europäischen Haltung der beiden großen Parteien besteht kein Zweifel. Sowohl die PASOK als auch die ND setzen voll auf die EU-Integration. Ihre Programme sind in den zentralen Themen kaum noch zu unterscheiden.

Griechenland, das nach seiner Aufnahme in die Union im Jahr 1981 lange Zeit als Außenseiter galt, hat eine eindrucksvolle Aufholjagd gestartet: In einem Kraftakt konnte die Regierung Simitis die Inflationsrate binnen vier Jahren von 14 auf zwei Prozent drücken; das Wirtschaftswachstum liegt heute über dem EU-Durchschnitt; durch eisernes Sparen, Privatisierungen und durch die Schließung unrentabler Staatsbetriebe konnte das Defizit gesenkt werden.

Der Lohn der Mühe: Griechenland wird vermutlich schon ab 1. Jänner 2001 dem Kreis der Euro-Länder angehören. Die europäische Einheitswährung wird von 75 Prozent der Bevölkerung willkommen geheißen. Man erhofft sich einen entscheidenden Investitionsschub - vor allem im Tourismus.

Neben den komplizierten Verhandlungen mit der EU-Kommission über die konkreten Bedingungen für die Euro-Teilnahme wird die neue Regierung zu Hause einige Pflaster verteilen müssen, denn die wirtschaftliche Rosskur hat Spuren hinterlassen: So ist die Arbeitslosigkeit auf 11,5 Prozent gestiegen.

Simitis hat sich mit dem Wahlversprechen von 300.000 neuen Arbeitsplätzen die Latte selbst sehr hoch gelegt. Gesundheits- und Bildungssystem sowie die Sozialversicherungen stöhnen unter den Einsparungen der vergangenen Jahre. Und das Durchschnittseinkommen der Griechen liegt erst bei 70 Prozent des europäischen Mittelwerts.

Nicht nur im Verhältnis zu Europa, sondern auch zum einstigen Erzfeind Türkei ist von der nächsten Regierung keine Änderung zu erwarten: Der von Premier Simitis eingeleitete Kurswechsel wurde von der konservativen Opposition mitgetragen. Als Simitis vergangenen Dezember den Widerstand gegen einen EU-Kandidatenstatus für die Türkei aufgab und eine Reihe von Kooperationsabkommen schloss, erntete er keinerlei Widerspruch im Parlament.

Sollte es der neuen Regierung gelingen, auch den jahrzehntelangen Konflikt mit Ankara um das geteilte Zypern (siehe Kasten) und den Streit um die Hoheitsrechte in der Ägäis beizulegen, dann könnte sich Griechenland endgültig vom europäischen Sorgenkind in einen Musterknaben verwandeln.

Zypern: Nicht nur griechisch-türkisches,sondern auch ein europäisches Problem

Eine kleine Insel im Mittelmeer entwickelt sich immer mehr zum Schlüsselproblem für die gesamte EU-Erweiterung. Das mehrheitlich von Griechen bewohnte Zypern, hermetisch abgeriegelt von dem von Türken bewohnten Nordteil der Insel, hat wirtschaftlich die besten Voraussetzungen für die Aufnahme in die Europäische Union.

Doch politisch ist noch keine Lösung in Sicht. Athen hat sogar damit gedroht, jede Erweiterung zu blockieren, wenn nicht zumindest die Republik Zypern bei der ersten Erweiterungsrunde dabei ist.

Wie verhandelt man mit einem geteilten Land? Der Österreicher Leopold Maurer, der für die EU-Kommission die Beitrittsverhandlungen mit Zypern führt, sieht mehrere Szenarien: "Ziel ist es, die gesamte Insel aufzunehmen. Wenn es aber keine diesbezügliche Regelung gibt, ist das keine Vorbedingung. Der Beitritt sollte aber zumindest der gesamten Bevölkerung zugute kommen," sagte der Wirtschaftsfachmann unlängst bei einem EU-Seminar in Istanbul.

Musterknabe in Brüssel

Bei den Verhandlungen mit Brüssel seit Ende 1998 hat sich die Inselrepublik mit ihren 764.000 Einwohnern als Musterknabe erwiesen. "Zypern liegt in Führung, noch vor Ungarn," so Maurer. Bereits 15 der 29 Kapitel, die besprochen werden, sind abgeschlossen. Im reichen Südteil wird pro Kopf ein Bruttosozialprodukt von umgerechnet rund 200.000 Schilling erwirtschaftet. "Es handelt sich um ein kleines, aber äußerst gut ausgebildetes Land," gibt ein türkischer EU-Experte zu.

In den Neunzigerjahren gab es wirtschaftliche Wachstumsraten bis zu 9,7 Prozent. Im Gegensatz zu den osteuropäischen Bewerbern erfüllt die Regierung in Nikosia bereits seit einigen Jahren vier der fünf Kriterien von Maastricht, die Voraussetzung für die europäische Währungsunion sind. Der türkisch-zypriotische Teil (200.000 Einwohner) kann bei diesen Daten nicht annähernd mithalten.

Das ist für die Türken Grund genug, zwar neidvoll nach Süden zu blicken, aber die Tür für Verhandlungen nicht völlig zuzuschlagen. "Die Einladung an die türkischen Zyprioten ist noch auf dem Tisch," heißt es dazu in Brüssel. Und die Regierung in Ankara betont, dass es allein im Ermessen der türkisch-zypriotischen Führung unter Rauf Denktasch liege, das weitere Vorgehen zu bestimmen. Einen ersten Hoffnungsschimmer gibt es bereits.

Erweiterungskommissar Verheugen traf vor zwei Wochen mit Denktasch zusammen. Bis dahin waren Vertreter der Europäischen Union im Norden Zyperns nicht willkommen.

Autor: Stefan Galoppi, Norbert Mayer