Berliner Zeitung 10.4.2000

Kein Interesse an einer Konfrontation

Roland Heine

Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat sich dafür ausgesprochen, Russland wegen seines Vorgehens in Tschetschenien aus dem Rat auszuschließen. Im Gegenzug will Moskau Vertretern der Parlamentarischen Versammlung Reisen nach Tschetschenien verweigern. Bei aller Aufregung in Politik und Medien: Eine Ausweitung der Kontroverse ist kaum zu erwarten. Die Parlamentarier haben keine Gesetzgebungskompetenz, das Ministerkomitee des Rates wird die Ausschlussentscheidung kaum bestätigen. Auch Russland zeigt derzeit kein Interesse, das Straßburger Votum zum Auslöser für eine offene Konfrontation mit dem Westen werden zu lassen.

Zudem hat der Europarat, der gern als demokratisches Gewissen Europas und Hüter der Menschenrechte bezeichnet wird, ein ernstes Glaubwürdigkeitsproblem. Denn Russland wäre der erste Fall in der Geschichte des 1949 gegründeten Gremiums, in dem ein Mitgliedsstaat ausgeschlossen würde. Massenhafte Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, den Hauptkodex des Europarates, gab es in den letzten 50 Jahren jedoch in etlichen Mitgliedsländern. Erinnert sei nur an die blutige Unterdrückung der Kurden in der Türkei. Das Vorgehen Ankaras in den Kurdengebieten hätte vor Jahren schon eine Suspendierung der Ratsmitgliedschaft dieses Nato-Landes nach sich ziehen müssen.