junge Welt 11.04.2000

Libanesen getürkt

In Bremen hetzt der Innensenator gegen staatenlose Flüchtlinge

Wer studieren will, wie eine ausländerfeindliche Kampagne ins Werk gesetzt wird, hat dieser Tage dazu gute Gelegenheit. Zielgruppe diesmal: Staatenlose libanesische Kurden, die bis Anfang der neunziger Jahre in die Bundesrepublik eingereist sind und seitdem nicht abgeschoben werden können, da der Libanon nicht bereit ist, diese Gruppe aufzunehmen.

Mittlerweile leben die betroffenen Familien zum Teil schon in der dritten Generation in Deutschland und hätten als »Altfälle« Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis. Plötzlich aber stehen sie als Asyl- und Sozialhilfebetrüger am Pranger. Die ersten Familien sollen in diesen Tagen in die Türkei ausgewiesen werden.

Vor anderthalb Monaten war der Bremer Innensenator Bernd Schulte (CDU) mit der Meldung an die Öffentlichkeit gegangen, in der Hansestadt sei ein beispielloser Fall von »Asylbetrug« aufgedeckt worden: Etwa 500 Türken hätten sich über Jahre hinweg fälschlich als Libanesen ausgegeben und das Land Bremen um mehrere Millionen Mark Sozialhilfe betrogen. Sein Beweis für die Behauptung: Durch Datenabgleich sei es gelungen, den Familien die türkischen Pässe zuzuordnen, mit denen sie ursprünglich eingereist seien.

Der Bremer Law-and-Order-Mann erzählte eine furchteinflößende Geschichte von kurdischen Mafiaclans, die Landsleute nach Deutschland eingeschleust hätten, um den deutschen Steuerzahler abzuzocken. Mit großer krimineller Energie, wie Schulte hinzufügte. Die Familien seien bis Anfang der 90er Jahre mit türkischen Pässen eingereist und hätten später unter falschen Namen in Bremen und anderen Städten betrügerische Asylanträge gestellt.

In der Folge verging kaum ein Tag, an dem die Bremer Öffentlichkeit nicht neue Details der Machenschaften kurdischer Familienclans erfuhr. Bisheriger Höhepunkt: eine Hausdurchsuchung am Tag des islamischen Opferfestes. Als die Betroffenen Anfang diesen Monats gegen die Kampagne demonstrierten, forderte der innenpolitische Sprecher der CDU, solche Aktionen in Zukunft zu unterbinden.

Bis heute aber sind die staatsanwaltlichen Ermittlungen nicht abgeschlossen, und schon jetzt ist erkennbar, daß der Vorwurf des »Sozialhilfebetrugs« ganz und gar gegenstandslos ist. Wie alle mittellosen Flüchtlinge hatten auch die Kurden nach ihrer Einreise einen Anspruch auf Sozialhilfe, den sie regulär geltend machten. Seitens des zuständigen Sozialressorts ist denn auch von Rückzahlungsforderungen nicht die Rede.

Aber auch die Frage der »wahren Identität« der Flüchtlingsfamilien ist eine andere. Das kurdische Volk war der Verlierer bei der Konstituierung von Nationalstaaten nach dem Ersten Weltkrieg. Etwa 150 000 arabischsprachige Kurden lebten auf dem Gebiet des Osmanischen Reichs, das dann zur Türkei wurde. Dort wurden sie nach 1917 zwangstürkisiert. Dazu gehörte auch die Aufgabe ihrer Clannamen und die Annahme türkischer Namen. Mehrere zehntausend flohen damals in den Libanon, wo sie als Staatenlose lebten. Als der Bürgerkrieg im Libanon begann, waren sie besonders schutzlos, denn als Staatenlose waren sie auch paßlos. Einige gingen zurück in die alten türkischen Siedlungsgebiete - nicht um zu bleiben, sondern um dort in den Besitz türkischer Pässe zu gelangen. Dann flohen sie nach Europa.

Die Vorsitzende der Bremer Flüchtlingsinitiative, Danja Schönhofer, schilderte diesen Hintergrund gegenüber jW am Beispiel einer zehnköpfigen Familie: »Die Vorfahren der Familie El Zain haben tatsächlich in der Türkei gelebt, aber bereits der Großvater ist 1917 nach Beirut geflohen, wo der Vater auch geboren ist.« Dies sei der Ausländerbehörde bekannt, interessiere sie aber überhaupt nicht. Die Familie sei 1988 für kurze Zeit in die Türkei gegangen und habe sich dort unter ihren türkischen Namen Pässe besorgt. »Die El Zains haben überhaupt nicht begriffen, daß sie dadurch, daß sie hier einen türkischen Paß abgegeben haben, hierzulande als Türken laufen. Sie hatten das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben, indem sie mit auf dubiosem Weg beschafften Pässen hierzulande eingereist sind, und haben das deshalb verschwiegen,« so die Flüchtlingshelferin.

»Wir meinen, daß ein Paß überhaupt nichts besagt«, erklärte Schönhofer. »Die El Zains sprechen kein Türkisch und können sich auch mit türkischen Kurden nur schwer verständigen. Sie sind Libanesen, und jetzt werden sie von den deutschen Behörden wieder türkisiert, um sie abschieben zu können.

Udo Casper