taz Nr. 6115 vom 10.4.2000 Seite 19

Unterwäsche im Auditorium

Exil-Iraner gehen eigene Wege. Mit inszeniertem Protest und organisierten Tumulten brachten sie die Tagung "Iran nach den Wahlen" zum Scheitern Die Provokation war geplant. Ein Studentenvertreter aus Teheran hatte gerade das Wort ergriffen, um von der Stimmung an den Hochschulen in seinem Land zu berichten, als eine Frau, nur mit Unterwäsche und Kopftuch bekleidet, durch die Reihen stolzierte. "Tod der islamischen Republik!", skandierten daraufhin wie zum Beifall lautstarke Grüppchen, die sich strategisch im rappelvollen Saal verteilt hatten.

Am Anfang war das Gerücht. Zwar dementierte die Heinrich-Böll-Stiftung eilig, die von ihr konzipierte Tagung "Iran nach den Wahlen" diene diplomatischen Interessen, wie der Spiegel gemeldet hatte. Genützt hat es ihr aber nicht. Nach Tumulten musste das Treffen iranischer Intellektueller und prominenter Reformkräfte, das größte dieser Art im Ausland seit der Revolution von 1979, am Samstag abgebrochen werden.

Dem operettenhaft inszenierten Protest war weder mit Beschwichtigungen noch mit Appellen beizukommen. Auch nachdem Vertretern jener Exilvereine, die sich von den Veranstaltern ausgeschlossen fühlten, in der Mittagspause Plätze auf dem Podium zugesagt worden waren, beruhigten sich die Gemüter nicht. Im Gegenteil: Als nach der Pause der iranische Reformgeistliche Yousefi Eshkevari ans Mikrofon trat, geriet die Lage vollends außer Kontrolle. Laute Rufer übertönten ihn im Chor und ließen Flugblätter herabregnen auf ihre Landsleute, die den Agit-Zirkus mit großer Geduld über sich ergehen ließen. Die Protestierenden stellten zwar nur eine Minderheit, aber sie hatten sich bereits am Morgen mit Kampfliedern, Sprechchören und Suppe vor der Kongresshalle in Stimmung gebracht. Verstärkung erhielten sie durch Genossen, die von weit her in Bussen nach Berlin gekommen waren.

Auch am Abend zuvor, bei der Eröffnung der Konferenz, hatten einige den Saal aufzuwiegeln versucht, allerdings mit weniger Erfolg. Nachdem der Sicherheitsdienst zwei Störer aus dem Saal gezerrt hatte und Vertreter der Exilgruppen ausgiebig zu Wort gekommen waren, bahnte sich, trotz konstant hohem Lärmpegel, so etwas wie ein Gespräch an.

Auffällig war, dass die Redner aus dem Iran ein deutlich aufgeklärteres Demokratieverständnis erkennen ließen als ihre Gegner im Saal, deren Vorstellung von Meinungsfreiheit in einem Fußballstadion sicher besser aufgehoben wäre. Auch ein Zeichen dafür, wie sich im Iran der Wind schon gedreht hat: Wer in der Vergangenheit iranische Redner erlebt hatte, die sich nur ausweichend zum Staatsterror in ihrer Heimat Stellung zu nehmen trauten, der konnte sich über die Offenheit nur wundern, mit der sich etwa Hotjatoleslam Eshkevari für die Trennung von Religion und Staat aussprach und mit der die Frauenrechtlerin Mahrangis Kar ihr Kopftuch als Zwang bezeichnete.

So wirkte es paradox, dass ausgerechnet jene Reformer, die sich mit hohem Einsatz für den Wandel im Iran engagieren, mit dem Vorwurf der Propaganda für das Mullah-Regime konfrontiert wurden. Einige fühlten sich spürbar vor den Kopf gestoßen: "Unsere Gegner im Iran sind kompromissbereiter als die iranische Opposition hier", sagte der Chefredakteur der größten iranischen Reformzeitung Sobhe-Emruz, Alireza Alavitabar. "Ich musste ohne gesetzliche Grundlage ins Gefängnis. Aber meine Verhörer dort waren dialogbereiter als die Störer dieser Konferenz", pflichtete ihm sein Kollege Hamid Reza Djalaipur von der Tageszeitung Asre Asadegan bei. So konnte man zwar wenig über die Lage im Iran lernen, dafür aber viel über den Zustand einer Exil-Opposition, die sich in ihren Ritualen noch fest der Politfolklore der 70er verhaftet zeigte.

"Die Veranstaltung ist beendet. Der Dialog geht weiter", rief Ralf Fücks von der Böll-Stiftung, als die Polizei das Podium räumte und die Redner in Sicherheit brachte. In ausgesiebter Runde wurde am Sonntag weitergetagt.

DANIEL BAX