Hannoveranische Allgemeine 08.04.00

Ecevit zeigt Einsicht

Am kommenden Dienstag wird der Arzt Zeki Uzun in der türkischen Stadt Izmir vor dem Staatssicherheitsgericht stehen. Im Dezember hatten Polizisten den Gynäkologen in seiner Praxis verhaftet. Uzun ist Gründungsmitglied der Türkischen Menschenrechtsstiftung. Er ist angeklagt, zwei Patienten behandelt zu haben, die der "Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation" verdächtigt werden. Dem Arzt, der in der Untersuchungshaft schwer gefoltert wurde, drohen bis zu siebeneinhalb Jahre Haft. Das Schicksal Uzuns kam als einer von vielen Fällen zur Sprache, als Bundespräsident Johannes Rau am Freitag in Ankara mit Vertretern von Menschenrechtsgruppen zusammentraf. Ort der Begegnung war die deutsche Botschaft. Mit der bewusst breit publizierten Einladung an die Menschenrechtler wollte der Bundespräsident ein Zeichen setzen: "Die türkische Regierung soll wissen, auf welcher Seite die Deutschen stehen." Einer der prominentesten türkischen Bürgerrechtler, Akin Birdal, wurde zehn Tage vor dem Treffen mit Rau inhaftiert. Sein Missfallen darüber hat Rau in Gesprächen mit Staatspräsident Süleyman Demirel und Regierungschef Bülent Ecevit so nachdrücklich geäußert, wie das ein Staatsoberhaupt nur tun kann. Dass der Bundespräsident Birdals Inhaftierung als Brüskierung ansehen musste, scheint inzwischen zumindest Ecevit klar zu sein. Der Regierungschef, wird in Delegationskreisen berichtet, habe sich zerknirscht gezeigt und erkennen lassen, dass die Inhaftierung Birdals eine "bedauerliche" Justizangelegenheit sei und nicht etwa ein gewollter Affront. Um seine Sensibilität in Menschenrechtsfragen zu demonstrieren, kam Ecevit dann auch noch Rau zuvor und brachte von sich aus den Fall der inhaftierten Kurdenpolitikerin Leyla Zana zur Sprache. "Bedauerlich" sei es, dass die Kurdin immer noch hinter Gittern sitze, soll Ecevit gesagt haben. Zana wurde Ende 1994 wegen "Hochverrats" zu 15 Jahren Haft verurteilt. Offensichtlich möchte Ecevit die Fälle Birdal und Zana möglichst rasch ad acta gelegt sehen, um sich Vorhaltungen, wie sie ihm jetzt der Bundespräsident machte, künftig zu ersparen. Die Menschenrechtsproblematik war das zentrale Thema des Rau-Besuchs in der Türkei. Demirel und Ecevit kann nicht entgangen sein, dass diese Fragen künftig immer häufiger zur Sprache kommen werden. "Das können und wollen wir den Türken nicht ersparen", betont ein deutscher Diplomat. "Sie müssen wissen, dass es ohne eine Aufarbeitung der Menschenrechtsdefizite keine Annäherung an die Europäische Union geben wird." Rau unterstrich in Ankara mehrfach, die Türkei habe noch einen langen Weg vor sich. Von heute auf morgen werden sich Folterpraktiken, Misshandlungen und Polizeiwillkür nicht abstellen lassen. Aus seinem als sehr eindrucksvoll beschriebenen Gespräch mit den Menschenrechtsaktivisten nahm der Bundespräsident eine 25 Punkte umfassende Liste mit, in der notwendige Gesetzesänderungen genannt werden. Doch damit allein ist es nicht getan. Wichtig ist, dass die Umsetzung der geänderten Gesetze gesichert wird. Diese Einsicht hätten auch Ecevit und Demirel geäußert, berichten Gesprächsteilnehmer. "Vollzugsdefizite" sieht Rau nicht nur im Polizeiapparat und in der Justiz, sondern auch in Erziehung und Schule. In Berlin will man nun darüber nachdenken, wie man den Türken helfen kann, in der Menschenrechtsfrage voranzukommen - getreu der Mahnung des Bundespräsidenten, Europa dürfe "nicht in der Rolle des abwartenden Richters verharren". Anregen will Rau beispielsweise EU-Programme zur Weiterbildung von Juristen und zur Schulung von Polizeibeamten. "Das kostet natürlich viel Geld", meint ein enger Berater des Bundespräsidenten, "aber wer es ernst meint mit den Menschenrechten, der muss bereit sein, solche Programme zu finanzieren." Gerd Höhler, Istanbul