Kölnische Rundschau 08.04.2000

Bundespräsident sieht langen Weg zum EU-Beitritt - Anstrengungen beider Seiten gefordert Rau fordert Türkei zu Reformen auf

Mit ausgestreckten Händen gehen Bundespräsident Rau und der Türkische Staatspräsident Süleyman Demirel in Ankara aufeinander zu.

Ankara. (ap/dpa) Bundespräsident Johannes Rau hat die Türkei zu Reformen und der Achtung der Menschenrechte aufgerufen. Bevor ihr Beitritt zur EU Wirklichkeit werden könne, hätten beide Seiten noch einen langen Weg vor sich, sagte Rau in Ankara in einer Rede vor der Middle East Technical University, die ihm die Ehrendoktorwürde verlieh.

Demokratischer Streit zwischen unterschiedlichen Meinungen dürfe kein Tabu sein. "Eine beitrittsfähige Türkei wird alle Bevölkerungsgruppen achten und schützen, auch jene, die türkische Staatsbürger seien, aber ihre kulturellen Eigenheiten behalten wollen", erklärte er mit Blick auf die Kurden. In seiner Rede mahnte Rau Toleranz und Pluralismus an. Zum europäischen Rechtsstaat gehöre auch der Schutz der Menschenrechte, die Abschaffung der Todesstrafe und das Verbot von Folter.

Die Türkei habe bereits wichtige Reformen eingeleitet und müsse diesen Weg weitergehen. Sie selbst bestimme das Tempo der Veränderungen und damit maßgeblich auch den Zeitpunkt für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. "Der Weg zum Ziel hat begonnen", sagte Rau mit Hinweis auf den in Helsinki zuerkannten Kandidatenstatus. "Wer ihn geht, weiß, dass es auf seine Fortschritte ankommt, wann er das Ziel erreicht." Allerdings müssten beide Seiten den Mut zur Ehrlichkeit haben, sagte Rau. "Beide Seiten sind gefordert, sich aufeinander vorzubereiten und entsprechende Anstrengungen zu unternehmen." Wenn dies gelinge, bestehe Grund zur Zuversicht.

Die EU sei mehr als ein gemeinsamer Markt, sie teile auch grundlegende Wertvorstellungen über das Zusammenleben von Menschen. Sprachliche, kulturelle und ethnische Vielfalt bedeute nicht Teilung oder Verfall der staatlichen Einheit.

Zum Auftakt seines dreitägigen Staatsbesuchs war Rau mit dem in Kürze aus dem Amt scheidenden Präsidenten Süleyman Demirel zusammengetroffen. Auch dabei ging es um den EU-Beitritt und Menschenrechte. Demirel räumte ein: "Es gibt Menschenrechtsverletzungen in der Türkei." Sein Land bemühe sich, diese auf ein Minimum zu reduzieren und dann ganz abzuschaffen.

"Dies sind Probleme, die daraus entstehen, dass die Anwender der Gesetze nicht die volle Bedeutung der Gesetze verinnerlichen oder nicht die nötige Ausbildung haben." Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte die Türkei mehrmals wegen unmenschlicher Behandlung und nachlässiger Ermittlungen im Fall von Kurden verurteilt.