Frankfurter Rundschau, 7.4.2000

Ein reizender Pass

Immer mehr Ausländer bemühen sich um Einbürgerung

Von Jörg Feuck

Rund 13 Prozent der in Deutschland lebenden Ausländer aus den klassischen Anwerbestaaten und Ex-Jugoslawien erwägen, im nächsten halben Jahr die deutsche Staatsangehörigkeit zu beantragen. Das geht aus einer Repräsentativ-Befragung der Forschungsgesellschaft Marplan hervor. Die Zahl lässt ein Vielfaches an Einbürgerungen erwarten im Vergleich zu den Vorjahren. In Hessen bleibt der Antrags-Boom aber bislang aus.

DARMSTADT. Der deutsche Pass reizt überdurchschnittlich die Zuwanderer aus der Türkei, Ex-Jugoslawien und grundsätzlich eher die Jüngeren. Bei einer repräsentativen Befragung der Forschungsgesellschaft Marplan im Februar und März unter 2059 Spaniern, Italienern, Ex- Jugoslawen, Griechen und Türken im Alter von 15 Jahren an gaben 13 Prozent an, demnächst den deutschen Pass beantragen zu wollen. Eine erkleckliche Menge, denn in der Bundesrepublik leben rund 3,5 Millionen Menschen mit solchen Nationalitäten. Bisher werden jährlich bundesweit 90 000 Ausländer eingebürgert. Die Zahlen für Hessen: Im Regierungsbezirk Darmstadt bekamen rund 10 000 Menschen einen deutschen Pass, im Regierungsbezirk Gießen waren es im Vorjahr 2187 Personen und im Regierungsbezirk Kassel wurden rund 1300 Urkunden ausgestellt.

Die Marplan-Studie ergab, dass das grundsätzliche Interesse unter den Ausländern an der deutschen Staatsbürgerschaft gegenüber 1999 leicht gestiegen ist: Rund 60 Prozent spielen zumindest mit dem Gedanken, den deutschen Pass zu erwerben. Von denen wären gleichwohl nur 28 Prozent bereit, für den deutschen Pass auf ihre bisherige Staatsbürgerschaft zu verzichten. Diejenigen, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit anstreben, ließen sich auch nicht locken, wenn sie ihren alten Pass behalten könnten: 73 Prozent der Befragten blieben dabei, dass sie kein Interesse haben. Das fehlende Wahlrecht macht den Immigranten prinzipiell wenig aus.

Ebenso beeindruckt sie das hiesige Parteiensystem nicht sonderlich. 30 Prozent der von Marplan Interviewten finden die SPD sympathisch, sechs Prozent die CDU. Die Grünen kommen bei acht Prozent gut an, die FDP landet bei einem Prozent. Mehr als die Hälfte der befragten Ausländer finden sich im deutschen Parteienspektrum nicht wieder.

Die nüchterne Distanz ist auch aktuell deutlich: Trotz der zum 1. Januar in Kraft getretenen Gesetzesreformen werden die Einbürgerungsbehörden keineswegs mit Anträgen überschüttet. Aber die Nachfrage zieht allmählich an: Im Regierungspräsidium (RP) Gießen wurden im ersten Quartal rund 750 Anträge ("mit monatlich steigender Tendenz") gezählt, im RP Kassel blieben die 320 Anträge so ziemlich im üblichen Rahmen. Im RP Darmstadt allerdings deutet der Posteingang darauf hin, dass dieses Jahr in Südhessen bis zu 50 Prozent mehr den deutschen Pass wünschen könnten - also 15 000 Zuwanderer. Martin Jungnickel, zuständiger Dezernent im RP Darmstadt, führt die insgesamt verhaltene Resonanz auf mangelhafte Informationen sowie auf unklare und komplizierte Passagen im Gesetz zurück.

Das überarbeitete Ausländergesetz macht die Einbürgerung nicht mehr von 15 Jahren rechtmäßigem Aufenthalt in Deutschland abhängig, sondern fordert nur noch eine achtjährige Frist. Neu sind die schriftliche Loyalitäts-Erklärung zum Grundgesetz sowie der Nachweis ausreichender Deutsch-Kenntnisse durch müheloses Verständigen im Gespräch und Lesen von Zeitungsartikeln.

Drittel behält alten Pass

Das Gesetz hält zwar den Grundsatz hoch, bei Einbürgerungen weiterhin Mehrstaatigkeit zu vermeiden - aber Experten wie Jungnickel winken nüchtern ab: Bei rund einem Drittel aller Fälle von Einbürgerungen behielten die Neu-Deutschen ihren alten Pass - die nordafrikanischen Staaten entlassen ihre Bürger ebenso wenig wie Griechenland, Portugal, Großbritannien und Irland aus ihrer Bürgergemeinschaft. "Und andere EU-Staaten werden folgen", sagt Jungnickel. Die Türkei entzog zwar bisher offiziell den Pass, wenn einer ihrer Bürger die deutsche Staatsangehörigkeit annahm, bot aber die stillschweigende Rück-Einbürgerung und damit den Doppelpass-Status an. Dem schiebt nunmehr das deutsche Staatsangehörigkeits-Gesetz einen Riegel vor: Ein Deutscher, der eine weitere Staatsbürgerschaft erwirbt, verliert automatisch seinen deutschen Pass. Erleichterung bringt die Novelle den Asylberechtigten und hier lebenden politisch Verfolgten sowie den jüdischen Emigranten aus der Ex-Sowjetunion und den baltischen Staaten, die allesamt von ihren Herkunftstaaten nicht aus der Staatsangehörigkeit entlassen werden. In diesen Fällen wird Mehrstaatigkeit jetzt einfach "hingenommen". In den drei hessischen Regierungspräsidien kommen jetzt schlagartig einige hundert Fälle von den Schreibtischen. Neu im Ausländergesetz ist auch die "Hinnahme" zweier Pässe, wenn durch die Einbürgerung im Herkunftsland "erhebliche" Erb- und Rentenansprüche oder nennenswerter Besitz an Grund und Boden verloren zu gehen drohen. Wer will das im Einzelnen nachprüfen? "Für uns ein Riesenaufwand", sagt RP-Dezernent Jungnickel.