Frankfurter Rundschau, 7.4.2000

Die Blumen gießen oder Hühner füttern will Demirel auf keinen Fall

Türkische Politiker fürchten bereits, dass "Baba" nach der Präsidentenwahl in die aktive Politik zurückkehren könnte

Von Gerd Höhler (Ankara)

Die Redakteure der Istanbuler Zeitung Hürriyet ahnten, dass die Tage des türkischen Staatspräsidenten Süleyman Demirel gezählt waren. "Nichts für ungut", verabschiedete das Blatt bereits in der Mittwochausgabe den Staatschef. Am Abend stand fest: Demirel muss am 15. Mai, zum Ablauf seiner siebenjährigen Amtszeit, den Präsidentenpalast auf den Hügeln von Cankaya, hoch über Ankara, räumen. Bis zuletzt hatte der 75jährige Polit-Veteran gehofft, den Umzug in seine eher schlichte Privatwohnung in der Güniz-Straße noch einige Jahre hinauszögern zu können. Ministerpräsident Bülent Ecevit, der seinen alten Gegenspieler Demirel in der Präsidentenrolle als Faktor der Stabilität schätzen gelernt hatte, wollte ihm mit einer Verfassungsänderung eine zweite Amtszeit zuschanzen. Aber bereits seit Wochen zeichnete sich ab, dass Ecevit die erforderliche Stimmenzahl im Parlament nicht zusammenbekommen würde. Die entscheidende Abstimmung am Mittwochabend wurde zu einer bitteren Niederlage für ihn. Selbst Dutzende von Koalitionsabgeordneten, so zeigte die Stimmenauszählung, müssen gegen die Verfassungsänderung votiert haben.

Nichts hatte Ecevit unversucht gelassen. Erst versüßte er den widerspenstigen Volksvertretern das Reformpaket mit einer Diätenerhöhung, doch das verfehlte die gewünschte Wirkung. Dann, am Mittwoch, appellierte er an die Koalitionsabgeordneten, offen abzustimmen, obwohl die Verfassung für solche Fälle eine geheime Abstimmung vorschreibt. Dass der Premier mit solchen Tricks für Fraktionsdisziplin sorgen wollte, empörte viele Parlamentarier. Nur 303 Abgeordnete stimmten für die "Lex Demirel", 64 zu wenig.

Dass sich türkische Abgeordnete in so großer Zahl den Regieanweisungen ihrer Parteichefs verweigern, hat es selten gegeben. Vielen Bürgern dürfte das imponieren. 70 Prozent, so eine Meinungsumfrage, waren gegen eine Amtsverlängerung für Demirel, den seine Anhänger als "Baba" verehren, der aber wegen seines monarchischen Gehabes immer öfter auch als "Sultan Süleyman" tituliert wird.

Nach dem Abstimmungsdebakel versicherte ein zerknirscht wirkender Ecevit, die Regierung bleibe im Amt, sie werde mit "Entschlossenheit und Harmonie" ihre Pflicht erfüllen. Unmittelbar scheint der Bestand der Regierungskoalition zwar nicht gefährdet, aber einfach zur Tagesordnung übergehen kann Ecevit auch nicht. Von einem "politischen Erdbeben" und einer "Ohrfeige für Ecevit" schreibt die Turkish Daily News; nichts werde so sein wie vorher, glaubt das Blatt Yeni Binyil, und auch der angesehene Kolumnist Mehmet Ali Birand glaubt: "Dieses Votum hat viel in der Türkei verändert".

Ob die Abgeordneten-Revolte wirklich, wie manche Beobachter glauben, eine beginnende Emanzipierung der bisher von den Parteiführern, der Regierung und nicht zuletzt den Militärs gegängelten Großen Nationalversammlung signalisiert, bleibt abzuwarten.

Im Vordergrund steht nun die Frage, wer Demirels Nachfolge antreten soll. Rund ein Dutzend Namen schwirren bereits umher. Besonderes Interesse am Präsidentenamt gibt es bei der rechtsextremen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), die ihren steilen Aufstieg nach der Regierungsbeteiligung nun mit der Übernahme des höchsten Staatsamtes krönen möchte. Die Präsidentenkür, die am 16. April beginnen muss, könnte Ecevits Koalition einer Zerreißprobe aussetzen. Mitzureden haben natürlich die Militärs. Deshalb klingt es nicht ganz unplausibel, wenn die Zeitung Cumhuriyet jetzt als möglichen Kompromisskandidaten den früheren Generalstabschef Ismail Hakki Karadayi ins Spiel bringt.

Und was wird aus Demirel? "Auf Wiedersehen", verabschiedete die Zeitung Sabah doppeldeutig den Präsidenten. Ein Wiedersehen mit "Baba" wird es ganz bestimmt geben. Seit 40 Jahren ist er in der Politik, drei Militärputsche hat der unverwüstliche Stehaufmann überlebt. Jetzt sorgen sich die konservativen türkischen Parteiführer, dass Demirel in die aktive Politik zurückkehrt und ihnen Konkurrenz macht. Aufs Altenteil jedenfalls will er nicht. Die "Blumen zu gießen oder Hühner zu füttern", das reiche ihm nicht, hat Demirel bereits kürzlich angekündigt.