Die Welt, 7.4.2000

Rau mahnt die Türkei zu Reformen

Bundespräsident dämpft Hoffnung auf raschen EU-Beitritt - Treffen mit Menschenrechtlern

Von Evangelos Antonaros

Ankara - Bundespräsident Johannes Rau hat die Türkei zum Auftakt seines dreitägigen Staatsbesuchs wiederholt aufgefordert, ihre Hausaufgaben gründlich zu machen und sich zielbewusst für den angestrebten Beitritt zur Europäischen Union (EU) vorzubereiten. "Der Weg zum Ziel hat begonnen, und wer ihn geht, weiß, dass es auf seine Fortschritte ankommt, wann er das Ziel erreicht", betonte Rau sowohl bei der Begrüßung mit militärischen Ehren durch Staatspräsident Süleyman Demirel wie auch bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Middle East Technical University in Ankara. Die Türkei müsse sich im Klaren darüber sein, dass sie einer Wertegemeinschaft und keinem gemeinsamen Markt beitreten wolle: "Es geht um mehr als um gemeinsame Sicherheit und gemeinsame Wirtschaft." Rau machte allerdings seinen türkischen Gesprächspartnern keine Hoffnungen auf einen baldigen Beitritt: Die EU und die Türkei hätten noch einen langen Weg vor sich.

Bereits vor seinem Eintreffen in Ankara hatte Rau ohne Umschweife betont, dass der Nato-Partner wichtige Reformen im Demokratie- und im Menschenrechtsbereich auf dem Weg zu Europa verwirklichen müsse: "Menschenrechte gelten für alle." Auf Raus Programm steht heute auch ein mit Spannung erwartetes Treffen mit Vertretern der türkischen Menschenrechtsorganisationen in der Residenz des deutschen Botschafters. Dazu war ursprünglich auch der kürzlich wieder festgenommene Menschenrechtler Akin Birdal eingeladen worden.

Nach dem Gespräch mit Rau, der als erster Bundespräsident seit 14 Jahren der Türkei einen Staatsbesuch abstattet, gab Demirel "Menschenrechtsverletzungen in der Türkei" zu. Zugleich stellte er aber fest, dass es sich dabei "keineswegs um Staatspolitik" handele. Unter Anspielung auf die Unterdrückung der Kurden sagte Rau: "Sprachliche, kulturelle und ethnische Vielfalt und ihre Anerkennung bedeuten nicht Teilung oder Verfall der staatlichen Einheit. Ja, Toleranz und Pluralismus sind das Gegenteil von Separatismus."

In der türkischen Presse wurde Rau als "Freund der Türkei" begrüßt, hingewiesen wurde allerdings auch auf "zahlreiche Konfliktstoffe", die in den letzten Jahren die traditionell guten Beziehungen belastet hätten. Gemeint ist neben der ursprünglichen Weigerung der Bundesregierung, die türkische EU-Kandidatur zu unterstützen, auch die zögerliche Haltung Berlins im Zusammenhang mit der Absicht Ankaras, 1000 Panzer vom Typ Leopard 2 zu bestellen. Rau und Demirel teilten der Presse übereinstimmend mit, dass dieses Thema nicht Gegenstand ihrer bilateralen Konsultationen gewesen sei. Doch mit der Feststellung, dass die Türkei 50 Prozent ihrer Rüstungskäufe in Deutschland tätige, machte Demirel seinen deutschen Gesprächspartnern deutlich, dass die Türkei eine Entscheidung in Sache Panzerlieferung erwarte. Schließlich würde die Türkei als "traditionell friedliebendes Land" die Panzer nicht gegen die eigene Bevölkerung, sondern lediglich zur Abschreckung einsetzen.