junge Welt Ausland 06.04.2000

Scheidepunkt Kosovo

OSZE-Politiker Willy Wimmer warnt vor Folgen des NATO- Krieges

Willy Wimmer, Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE und Mitglied des Bundestags für die CDU, hat sich bereits in der Vergangenheit als scharfer Kritiker des NATO-Angriffs auf Jugoslawien einen Namen gemacht. Unmittelbar vor der mit Spannung erwarteten Erklärung von Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping im Bundestag am Mittwoch über die ominöse »Operation Hufeisen« gab Wimmer eine Erklärung ab, die es in sich hat.

Nach politischen Gesprächen zu Fragen der regionalen und globalen Sicherheit in Moskau und Chabarowsk, im Osten Rußlands, sowie Peking und Tokio erklärt der CDU- Abgeordnete nun, daß sich ein Jahr nach Beginn der NATO- Angriffe gegen die Bundesrepublik Jugoslawien »der Kosovo- Krieg als eine Wasserscheide für die Entwicklung der Welt in den kommenden Jahren herausstellen« könnte. So habe Rußland eine neue Militärdoktrin verabschiedet, »mit besonderer Ansprache der NATO und des Westens«, das heißt, das westliche Militärbündnis wird explizit als Bedrohung benannt. »Was in aller Welt veranlaßt Moskau anderes als der Jugoslawien-Krieg, Einsatzrichtlinien über Nuklearwaffen zu veröffentlichen?« fragt Wimmer.

Auch in Peking hätten sich die Dinge verändert. Da der Krieg gegen Jugoslawien in dem vermeintlichen Spannungsfeld zwischen staatlicher Souveränität und inneren Verhältnissen in den Staaten geführt worden sei, um Interessen durchzusetzen, würde Taiwan durch die klare Positionierung der USA nur noch in seinem Unabhängigkeitsbestreben bestärkt. Tatsächlich habe die chinesische Führung schon immer betont, daß eine Unabhängigkeitserklärung Taiwans, also die formale Trennung von »einem China«, den Kriegsfall bedeute.

»Aber auch in Europa sollte man Schlüsse aus einer Operation ziehen, die im wesentlichen geführt wurde, um die Ausdehnung der NATO zu gewährleisten und dabei ihre Glaubwürdigkeit zu stärken«, schreibt Wimmer. Kaum etwas mache das so deutlich wie die US-amerikanischen Anstrengungen, in Urosevac »die seit Vietnam größte Militärbasis zu bauen und zu betreiben, mitten in ihrem Kontrollgebiet im Kosovo«. Aber auch sonst sei die NATO- Operation im Kosovo »außer Kontrolle geraten«. Bezug nehmend auf westliche Zeitungsberichte hebt Wimmer hervor, daß »die Juden des Kosovo jetzt fast ausnahmslos nach Belgrad geflüchtet sind«. Die UCK habe »selbstredend die in Kosovo verbliebenen Serben und Roma fast vollständig vertrieben, die ethnischen Türken mußten gehen, und die katholischen Albaner berichten von Gewaltmaßnahmen ihnen gegenüber. Selbst albanische Intellektuelle setzen sich aus dem Kosovo offenbar nach Belgrad ab.« Daraus zieht Willy Wimmer die einzig logische Schlußfolgerung, die aber in der in Balkanfragen gleichgeschalteten Berliner Republik als kleine Sensation zu werten ist: Belgrad ist der einzige große multi- ethnische Staat auf dem Balkan.

Sofern man in Europa überhaupt noch bereit sei, die Lage im Kosovo zu analysieren, müßte doch auffallen, wie sehr man dort vor einem Bürgerkrieg zwischen rivalisierenden Fraktionen stehe, die von im Konkurrenzkampf stehenden Drogenbaronen unterstützt würden, fährt Wimmer fort und fragt: »Was wird die NATO dann tun? Würdelos abziehen oder einen neuen Krieg mit Milosevic provozieren?« Bei einem künftigen Konflikt nach dem alten Strickmuster dürfte aber »fraglich sein, ob ein Präsident Putin noch einmal die S-300- Luftabwehrraketen den Serben verweigert, wie das im Oktober 1998 geschehen ist. Das letzte Luftduell war das zwischen modernster US-Technologie und sowjetischer Technologie aus den 70er Jahren. Das muß nicht so bleiben«, warnt Wimmer.

Dem internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag räumt der CDU-Bundestagsabgeordnete keine große Zukunft ein. All jene, die gutgläubig den rot-grünen Beschwörungen vom humanen Krieg gefolgt sind, dürfte das eine weitere Enttäuschung sein. All jenen, die im Rahmen einer humaneren Welt an die Bedeutung des Tribunals in der Zukunft glauben, hält Wimmer die »Aussage eines hohen Amtsträgers der deutschen Regierungsadministration« entgegen. Der - so Wimmer - »sagte das Platzen dieses Tribunals voraus, wenn man dort ernsthaft auf Grund vorliegender Klagen gegen die NATO ermitteln werde«.

Rainer Rupp