taz Nr. 6112 vom 6.4.2000

Internationale Spitzen

EINWANDERUNGSLAND DEUTSCHLAND (5): Während SPD und Unternehmer die Green Card propagieren, schüren ausgerechnet CDU und einige Gewerkschafter einen neuen Rassismus

von MARK TERKESSIDIS

In dem Film "Und ewig grüßt das Murmeltier" erlebt der Reporter Bill Murray immer und immer wieder den gleichen Tag. Er hat den gleichen Auftrag, er begegnet den gleichen Leuten, und er hört sie jedesmal aufs Neue die gleichen Sachen sagen. Dem Regisseur könnte die Idee zu diesem Film bei einem Aufenthalt in Deutschland gekommen sein - während er kopfschüttelnd den Wiederholungszwängen der hiesigen Einwanderungspolitik und -debatte zusah. Seit fast 50 Jahren immer das gleiche Schauspiel: Die Industrie fordert Arbeitskräfte, die Regierung, welcher Couleur auch immer, beschafft sie. Von nationalistischer Seite gibt es scharfe Proteste. Schließlich wird ein fauler Kompromiss gefunden, der alle Seiten vorübergehend beruhigt. Alle einheimischen Seiten versteht sich, denn die gefundenen Regelungen gehen immer zu Lasten der Migranten. Zudem lösen Kompromisse dieser Art kein Problem auf Dauer und sorgen dafür, dass die Show morgen wieder in der gleichen Form losgehen kann.

Gerade scheint man wieder einmal eine Windung dieser Endlosschleife zu erleben, wenn auch mit einem gewissen parteipolitischen Bäumchen-wechsel-dich. Denn nun marschiert eine "moderne" SPD plötzlich Seite an Seite mit den Unternehmern, während sich Vertreter der Wirtschaft angesichts von "Kinder statt Inder"-Slogans selten deutlich gegen ihre alten Kumpel von der Union aussprechen. Die grundsätzlichen Positionen freilich wirken weitgehend bekannt. Dennoch geht es in dieser Debatte um etwas völlig Neues: um ausländische Arbeitskräfte für einen Zukunfts- und Elitesektor. Im "digitalen Kapitalismus" müsse die "Spitze" internationalisiert werden, meinte etwa Peter Glotz auf dem Titelblatt der Woche - eben der "vergleichsweise schmale Sektor der Symbolanalytiker". Dieser Sektor sei nämlich, so der aufgerüstete ehemalige SPD-Linke wörtlich, "kriegsentscheidend".

Zwar wurden schon aus dem ehemaligen Jugoslawien nach 1968 gewöhnlich Facharbeiter angeworben, doch tatsächlich ist es wohl erstmals ein ausgesprochenes Ziel, die "Spitze zu internationalisieren". Dieses Projekt wird in Managementkreisen bereits seit geraumer Zeit unter dem Stichwort Diversity angegangen - Ian Walsh hat es kürzlich an dieser Stelle angesprochen. Das Konzept wurde Anfang der Neunzigerjahre in den USA entwickelt und hat in den Niederlanden längst den Status eines Hypes erreicht. Aber auch hierzulande findet man so genannte Diversity-Councils - etwa bei Ford. Die Unternehmer verbinden mit diesem Konzept eine ganze Reihe von Zielen. Intern gilt Vielfalt nun als Motor für die derzeitigen Schlüsselressourcen Kreativität und Innovation. Zudem träumt man von einem weltweit verfügbaren Arbeitskräftereservoir. Nach außen gibt Diversity dem Unternehmen das heute notwendige internationale Image und soll die inzwischen globale Kommunikation verbessern. Schließlich soll die interne Vielfalt auch die Optimierung der heute vielfältig gewordenen Käufergruppen gewährleisten. Daher sollen nicht nur verstärkt "Fremde" einbezogen werden, sondern auch mehr Frauen, Behinderte und Homosexuelle.

In diesem Sinne dreht sich nun um die "Computer-Inder" ein ganzes Karussell kultureller Zuschreibungen. Im Fernsehen konnte man einen indischen Experten aus Hyderabad sehen, der das eigene Volk anpries, indem er ihm eine kulturell tief verwurzelte Fähigkeit für mathematisches Problemlösen andichtete. In die gleiche Kerbe schlug einTitelbild des Stern, auf dem "indische Gastarbeiter" durch eine ausgesprochen schöne Frau verkörpert wurden, bei der sich das bekannte rituelle Mal auf der Stirn in ein @ verwandelt hatte. Während man die "Computer-Inder" so als passiv-verfügbare kulturelle Humanressource vorführte, wurden gleichzeitig Zumutungen an die hiesigen Arbeitskräfte formuliert. Sie mussten sich mit ihrer mangelnden Flexibilität konfrontieren lassen: "Sind die Deutschen zu doof für Computer?", lautete die suggestive Headline. Im Artikel wurden deutsche Loser dem feuchten Arbeitgebertraum aus der "Dritten Welt" gegenübergestellt, und schließlich betete der Autor das übliche Repertoire von Arbeitgeberforderungen herunter: Der Arbeitnehmer von heute muss lebenslang lernen, Jobwechsel alle zwei Jahre völlig normal finden und überhaupt "Unternehmer in eigener Sache sein".

Allerdings muss und kann man das den Beschäftigten in der IT-Branche nicht erzählen: Sie schlafen ohnehin auf der Arbeit und haben zudem reichlich Optionen auf andere Jobs. In der Branche herrscht geradezu Auftragshysterie, wobei Fachkräfte so rar sind, dass sie von den Arbeitgebern förmlich gehätschelt werden. Spezialisten aus Indien oder Osteuropa wiederum sind mitnichten eine verfügbare Masse von "Gastarbeitern", die untertänigst ins deutsche "Boot" will - die Bundesrepublik gilt eher als Land mit vergleichsweise mäßigen Verdienstmöglichkeiten und beachtlichem Alltagsrassismus (wie Ashwin Raman auf dieser Seite am 1. 4. feststellte).

Offenbar richten sich die Bedrohungsszenarien an das imaginäre "Wir" der Nation. Unter Druck geraten dadurch gerade die noch nicht völlig durchflexibilisierten Bereiche der Gesellschaft. Erstaunlicherweise werfen die bekannten Attacken von Seiten der Konservativen nun die soziale Frage auf - auf rassistische Weise. Nicht mehr die Sozialdemokraten, sondern ausgerechnet der ehemalige "Zukunftsminister" Rüttgers führt mit einigen neuen Freunden von den Gewerkschaften die einheimischen Globalisierungsverlierer an und ruft nach Ausbildung. Hier deutet sich eine neue Form von Rassismus an: gegen globale Konkurrenz und die "internationalisierte Spitze". Denn angesichts der weltgewandten ausländischen Spitzenkräfte, von denen überall die Rede ist, kommen sich viele plötzlich ziemlich ungebildet vor - vielleicht schon, weil sie nur eine Sprache sprechen.

Damit entfernt sich die CDU freilich aus der "Mitte", denn dort hat die Wirtschaft die Devise ausgegeben, dass "wir" Einwanderung brauchen. Die Regierung kann dagegen nicht nur die Karte der "Modernität" ausspielen, sondern hat mit Otto Schily auch noch einen eigenen Kettenhund zu bieten. Der hat bereits im letzten Jahr darauf hingewiesen, dass "moderne" Einwanderungspolitik mit dem individuellen Recht auf Asyl nicht mehr zu vereinbaren ist. Offenbar entsteht in der "Neuen Mitte" gerade so etwas wie eine Zitadellenvielfalt - das Pendant zum allgegenwärtigen Konsum-Multikulti. Deren Grenzen werden scharf gegen unkontrollierte Zuwanderung verteidigt. Indem "Green Card"-Regelungen und Asylrechtsänderung nun gekoppelt werden, lässt sich das Ressentiment gegen Diversity in der "Neuen Mitte" gegen Einwanderung "von unten" wenden. Über Einwanderungsregelungen für Spitzenkräfte muss man sich eigentlich keine Sorgen machen - die werden ohnehin "unbürokratisch" durchgesetzt. Besorgniserregend ist vielmehr der neue Rassismus, der damit einhergeht.

Hinweise: Seit den Sechzigern gehen alle Kompromisse zu Lasten der Migranten Die Bedrohungsszenarien richten sich an das imaginäre "Wir" der Nation