junge Welt Inland 06.04.2000

Statistik offener Geheimnisse

Verfassungsschutzbericht 1999: Besonderer Blick auf Gegner des NATO-Krieges gegen Jugoslawien

Der Schwerpunkt der Tätigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz (VS) soll laut eigenen Angaben im Jahre 1999 auf der Beobachtung und Bekämpfung des »Rechtsextremismus« gelegen haben. So tauchte im Redemanuskript von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), der am Dienstag in Berlin den Verfassungsschutzbericht 1999 der Öffentlichkeit präsentierte, die PDS auch nicht auf. Tatsächlich aber nahm die Auseinandersetzung mit den Demokratischen Sozialisten in der Darstellung der Arbeit der von Schily in den höchsten Tönen gelobten Behörde breiten Raum ein.

Grund für die fortgesetzte Beobachtung der PDS: Sie zeige »keine ernsthaften« Anstrengungen, »ihr bislang zwiespältiges Verhältnis zum parlamentarischen System und zu wesentlichen Elementen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu klären«. So eine Feststellung im 250-Seiten-Bericht. Die PDS dulde »unverändert die Existenz extremistischer Strukturen innerhalb der Partei«, womit namentlich neben autonomen Antifas auch »orthodox-kommunistische Strömungen« wie die Kommunistische Plattform (KPF) und das Marxistische Forum gemeint sind. Was die PDS tun sollte, um fürderhin nicht mehr vom VS ins Visier genommen zu werden, weiß sie längst. Innenminister Schily signalisierte am Dienstag, er habe die diesbezüglichen Bewegungen in der PDS-Spitze zur Kenntnis genommen, behalte sich aber vor abzuwarten, »wie diese zu bewerten seien«.

Der Bericht selbst verharrt mit bemerkenswerter Konstanz in Stereotypen des Kalten Krieges und zählt unverändert auch die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) und selbst die Wuppertaler Marx- Engels-Stiftung zu den zu observierenden Verfassungsfeinden. Die von der Stiftung betriebene Erforschung des wissenschaftlichen Werkes von Marx und Engels gibt offenbar Anlaß zu größter Besorgnis. Selbst der beobachteten Kooperation mit der Bergischen Universität/Gesamthochschule Wuppertal wird Wissenschaftlichkeit nur in Anführungszeichen gesetzt zugestanden. Angesichts der internationalen Reputation der Stiftung eine kaum zu überbietende Peinlichkeit.

Als Gefährdung der Verfaßtheit der Bundesrepublik wird im Bericht selbstredend nicht etwa die deutsche Beteiligung an der NATO-Aggression gegen Jugoslawien angesehen, sondern die Aktivität sämtlicher Kriegsgegner, insonderheit die des Bundesausschusses Friedensratschlag. Der habe die Opposition gegen den Militäreinsatz im Kosovo als Chance gesehen, »eine antiwestliche Protestbewegung voranzubringen und seinen Einfluß darin auszuweiten«. Auch die junge Welt hat im VS-Bericht weiter ihren Ehrenplatz als »linksextremistische Zeitschrift«.

Eine Gefährdung der inneren Sicherheit Deutschlands geht laut Schily nach wie vor gleichwertig von »Extremisten von rechts und links« aus. Die veröffentlichten Zahlen sprechen jedoch für sich. Während 1999 10 037 Straftaten mit erwiesenem oder zu vermutendem rechtsextremistischen Hintergrund erfaßt wurden, waren es im selben Zeitraum 3 055 sogenannte linksextremistische, was einem Rückgang um 4,5 Prozent entspricht. Nicht berücksichtigt ist hierbei, daß etwa ein »fremdenfeindlicher Hintergrund« von Angriffen gegen ausländisch aussehende Menschen in vielen Fällen von den mit der Untersuchung befaßten Behörden ausgeschlossen wird. Tötungsdelikte und versuchte Tötungsdelikte gab es von »linken Gewalttätern« nicht, von rechts wurden dagegen ein Mord und 13 versuchte Tötungsdelikte registriert.

Im Bericht erfahren neben dem »Extremismus« inländischer Gruppierungen auch »sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern« große Aufmerksamkeit. Größtes Augenmerk galt hierbei den Aktivitäten der PKK im Zusammenhang mit der Verhaftung Abdullah Öcalans im vergangenen Jahr. Unter dem Punkt »Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten« finden vor allem diesbezügliche Tätigkeiten der Dienste der Russischen Föderation und anderer ehemals sozialistischer Staaten Erwähnung, nicht jedoch die der Geheimdienste der »befreundeten Staaten«. Auf eine Nachfrage zu diesem Punkt sagte VS-Chef Peter Frisch knapp: »Konkrete Anhaltspunkte zur Spionagetätigkeit befreundeter Staaten haben wir nicht«.

Jana Frielinghaus