Handelsblatt 05.04.2000

Parteien Türkei nimmt zweiten Anlauf zur Verfassungsänderung

Reuters ANKARA. Die drei Parteien der türkischen Regierungskoalition haben sich am Dienstag auf eine zweite geheime Abstimmung über eine Verfassungsreform geeinigt, die Präsident Süleyman Demirel die Kandidatur für eine zweite Amtszeit ermöglichen sollen. Die Abstimmung soll am Mittwoch stattfinden. Um die erforderlichen 367 von 550 Stimmen zu erreichen, ist die Regierung von Ministerpräsident Bülent Ecevit auf Stimmen der Opposition angewiesen. Sollte Demirel nicht erneut antreten können, wird ein schwerer Streit unter den Regierungsparteien über einen Nachfolgekandidaten befürchtet. Vor der ersten Abstimmung vor einer Woche hatten sich zunächst 400 Abgeordnete bereit erklärt, der Änderung zuzustimmen. Jedoch nur etwa 300 gaben tatsächlich dafür ihre Stimme ab. Die Zeitung "Hurriyet" berichtete am Dienstag, die Koalitionsführungen wollten die Abgeordneten bei der zweiten Abstimmung kontrollieren. Für die eigentlich geheime Abstimmung würden weiße, rote und grüne Stimmkarten verteilt. Die Abgeordneten der Koalition müssten nach der Wahl die roten und grünen Karten als Beweis vorzeigen, dass sie mit der weißen Karte für die Vorlage gestimmt hätten. Der Oppositionspolitiker Ertugrul Yalcinbayar kündigte für diesen Fall Einspruch an. Die Regierung wies den Bericht zurück. Ecevits Regierungskoalition hat maßgebliche Schritte unternommen, um die Türkei zum Beitrittskandidaten zur Europäischen Union (EU) zu machen sowie einen Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) im Umfang von vier Mrd. $ (etwa zehn Mrd. DM) zu sichern. Seine Demokratische Linkspartei (DSP) verfügt über 137 Sitze. Die Koalitionspartner Partei der Nationalen Bewegung (MHP) kontrollieren 127 und die Mutterlandspartei (ANAP) 87 Sitze. Demirels Amtszeit endet im Mai.