Die Rheinpfalz 05.04.2000

Streit um Amtszeit des türkischen Präsidenten

Trotz erheblichen Widerstands auch in den eigenen Reihen will die türkische Regierungskoalition eine neue Amtszeit für Staatspräsident Süleyman Demirel erzwingen. Nach einem Treffen der Koalitionsspitzen in Ankara riefen die Chefs der Regierungsparteien am Dienstag ihre Parlamentsabgeordneten auf, bei der zweiten Lesung der erforderlichen Verfassungsänderung am Mittwoch für die Vorlage zu stimmen. Bei der ersten Lesung in der vergangenen Woche hatten viele Koalitionsabgeordnete gegen eine Amtsverlängerung für den 75-jährigen Demirel gestimmt und damit eine Regierungskrise ausgelöst. Ministerpräsident Bülent Ecevit und seine Koalitionspartner, Devlet Bahceli von der rechtsradikalen Partei des Nationalen Aufbruchs (MHP) und Mesut Yilmaz von der konservativen Mutterlandspartei, beschlossen bei ihrem Gipfeltreffen am Montagabend, mit unveränderten Vorlagen in die zweite Abstimmung zu gehen. Die Koalition verfügt im Parlament über 351 von 550 Sitzen. Für eine Verfassungsänderung sind zwar 367 Stimmen nötig, doch hatten bei der Einbringung des Entwurfs mehr als 400 Parlamentarier aus Koalition und Opposition eine neue Amtszeit Demirels befürwortet. Bei der ersten Lesung kamen am vergangenen Mittwoch dann aber nur 253 Ja-Stimmen zusammen. Nach Presseberichten will die Koalitionsführung bei der zweiten Lesung Druck auf potenzielle Abweichler ausüben. Demnach sollen die Koalitionsabgeordneten nach der geheimen Abstimmung bei ihrer jeweiligen Fraktionsführung offenlegen, wie sie votiert haben. Der türkische Fernsehsender NTV berichtete am Dienstag, im Parlament sei dieses Vorgehen umstritten. Ministerpräsident Ecevit möchte mit der Verfassungsänderung erreichen, dass der seit sieben Jahren amtierende Präsident Demirel, dessen Amtszeit nach den bisherigen Regeln im Mai ausläuft, weitere fünf Jahre an der Spitze des Staates bleiben kann. Ecevit befürchtet, dass bei einem Ausscheiden Demirels die Suche nach einem neuen Kandidaten für das Präsidentenamt den Zusammenhalt seiner Koalition gefährden könnte. Während der entscheidenden Parlamentsdebatte am Mittwoch trifft Bundespräsident Johannes Rau zu einem mehrtägigen Staatsbesuch in der Türkei ein. (afp)