Hannoversche Allgemeine, 3.4.2000

Rau in Athen und Ankara auf glattem Parkett

Heute bricht Bundespräsident Johannes Rau zu Staatsbesuchen nach Griechenland und in die Türkei auf. Die einwöchige Reise zu den zerstrittenen Nachbarn ist politisch so brisant, dass das Bundespräsidialamt sich peinlichst um Ausgewogenheit bemüht. Athen und Thessaloniki wird Rau in Griechenland besuchen, Ankara und Istanbul in der Türkei. Überschattet wird die Visite von der Regierungskrise in der Türkei und dem neuerlichen Einmarsch türkischer Truppen in den Nordirak am vergangenen Wochenende. In beiden Ländern wird sich der Präsident etwa gleich lange aufhalten. Besorgt erkundigten sich griechische Journalisten beim deutschen Botschafter in Athen, wem denn nun eigentlich die größere Zuneigung der Deutschen gelte, ihnen oder den Türken. Karl Heinz Kuhna, Berlins Mann in Athen, umschiffte die Klippe: Die Doppel-Visite diene der Aussöhnung beider Völker, beruhigte er die eifersüchtigen Griechen. So sieht man es auch im Bundespräsidialamt. Dass Rau vom nordgriechischen Thessaloniki, dem Geburtsort des türkischen Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk, in das von ihm zur Hauptstadt der modernen Türkei ausgerufene Ankara fliegt, soll ein Signal sein. Damit, so heißt es in der Umgebung des Bundespräsidenten, möchte man den jüngst begonnenen Annäherungsprozess der beiden "Erbfeinde" fördern. Doch nicht nur wegen der traditionellen griechisch-türkischen Reibereien begibt sich Johannes Rau diese Woche auf ein glattes Parkett. In Griechenland wird er, wie schon bei seinem Israel-Besuch, erneut mit den Nazi-Verbrechen konfrontiert. Am Dienstag besucht Rau das Bergdorf Kalavryta, Schauplatz eines der furchtbarsten Massaker des Zweiten Weltkrieges. Als "Sühnemaßnahme" für einen Partisanenüberfall ermordeten hier deutsche Besatzungssoldaten im Dezember 1943 mehr als 1200 Zivilisten. Zusätzliche Brisanz bekommt Raus Besuch dort, weil die Griechen zur Zeit intensiv über deutsche Reparationszahlungen für NS-Taten diskutieren. Nicht weniger brennend sind die Themen, mit denen sich der Bundespräsident in der Türkei auseinanderzusetzen hat. Rau wolle, so heißt es in seiner Umgebung, die europäische Perspektive des Landes bestätigen. Dass noch viel geschehen muss, bevor sich die Tür zur EU wirklich öffnet, will Johannes Rau nicht nur in seinen Gesprächen mit dem türkischen Präsidenten Süleyman Demirel und Regierungschef Bülent Ecevit betonen. Der Einmarsch von rund 1000 türkischen Soldaten in den Nordirak auf der Suche nach PKK-Stützpunkten wird dieses Gespräch nicht erleichtern - ebenso wenig wie Raus Vorhaben, sich in der deutschen Botschaft in Ankara demonstrativ mit Vertretern türkischer Menschenrechtsgruppen zu treffen. Dazu war auch der prominente türkische Menschenrechtler Akin Birdal eingeladen. Doch er wird nicht kommen können, weil er vergangene Woche wieder in Haft genommen wurde. Damit will Ankara wohl klarstellen: Reinreden lassen wir uns nicht. Birdals "Verbrechen": Er hatte öffentlich eine friedliche Lösung der Kurdenfrage gefordert.

Gerd Höhler, Berlin