taz, 3.4.2000 Seite 2

MENSCHENRECHTE

Gegen Folterpraxis

Beim Türkeibesuch von Bundespräsident Johannes Rau muss Deutschland, so der grüne Bundestagsabgeordneten Cem Özdemir, die Wichtigkeit der Menschenrechte klar machen: "Die Türkei muss dafür sorgen, dass die Folter der Vergangenheit angehört." (dpa)

Frankfurter Rundschau, 3.4. An heiklen Themen wird's Johannes Rau in der Türkei nicht mangeln

Menschenrechte, Panzer, Einbürgerung: Beim Besuch am Bosporus ist ein umsichtiger Bundespräsident gefragt

Von Knut Pries (Berlin)

Johannes Rau startet am heutigen Montag zu seiner zweiten großen Auslandsreise: Nach den Besuchen in Israel, Ägypten und den palästinensischen Autonomie-Gebieten im Februar bereist der Bundespräsident Griechenland und die Türkei. Trotz der jüngsten Annäherung zwischen den traditionell unharmonischen Nachbarn gilt vor allem die Visite beim EU-Kandidaten Türkei als heikel.

"Israel war ein Heimspiel, diesmal wird es erheblich schwieriger", sagt Rüdiger Frohn, Büroleiter des Bundespräsidenten. Den Israelis war Rau von Dutzenden vorausgegangener Besuche bestens vertraut als guter Freund, der seinerseits genau wusste, was von ihm, auch in der neuen Rolle als Staatsgast, erwartet wurde. In der Türkei, wo sich die deutsche Delegation in der zweiten Wochenhälfte aufhält, muss der Bundespräsident den rechten Ton treffen, ohne auf entsprechende Erfahrung zurückgreifen zu können. Dabei herrscht an heiklen Themen kein Mangel: Die Bewerbung der Türken um Aufnahme in die Europäische Union ist hierzulande ebenso umstritten wie am Bosporus. Vom EU-Standard in Sachen Menschenrechte hat sich die Türkei seit ihrer Erhebung in den offiziellen Kandidatenstatus nach Einschätzung der Bundesregierung eher weiter entfernt. Die Situation der rund zweieinhalb Millionen - nur zum kleinen Teil eingebürgerten - Bürger türkischer Abstammung in Deutschland gilt auf beiden Seiten als unbefriedigend. Hinzu kommt der Streit um den türkischen Wunsch nach deutschen Panzern, Hauptgrund für die Verschiebung eines für den März geplanten Besuchs von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Da Rau in Auseinandersetzungen der Tagespolitik nicht verwickelt sei, könne seine Visite dazu beitragen, "die Wogen zu glätten", heißt es in der Bundesregierung. "Er kann vielleicht helfen, deutlich zu machen, dass die Beziehungen in den großen Linien gut sind." Das bilaterale Verhältnis wird unter anderem Thema einer Rede des Gastes in der Technischen Universität Ankara am Donnerstag sein.

Zwei aktuelle Umstände erschweren die Aufgabe zusätzlich: Zum einen die erneute Inhaftierung des Menschenrechtlers Akin Birdal, zum anderen die Krise der Regierung von Ministerpräsident Bülent Ecevit, dessen fragile Drei-Parteien-Koalition sich unmittelbar vor Raus Eintreffen einer entscheidenden Abstimmung im Parlament stellen muss. Das sei zwar "keine Störung, aber eine Ablenkung", heißt es im Berliner Auswärtigen Amt. In Sachen Birdal - er gehört zu eine Gruppe Menschenrechtler, die Rau für Freitag zu einem Treffen eingeladen hat - werde sich der Bundespräsident an die Linie der EU halten. Sie hat die Inhaftierung "bedauert" und ist in Ankara für die Freilassung des früheren Vorsitzenden der türkischen Menschenrechtsvereinigung vorstellig geworden. Die Reaktion auf die Demarche ist aber nach Auskunft von EU-Diplomaten "unbefriedigend" ausgefallen.

Vergleichsweise unproblematisch dürfte sich Raus Aufenthalt in Griechenland gestalten. Im Mittelpunkt steht dabei am Dienstag ein Besuch der Gedenkstätte im peloponnesischen Dorf Kalavrita, wo deutsche Besatzungssoldaten im Dezember 1943 die gesamte männliche Bevölkerung ermordeten. Raus Wunsch, der Opfer zu gedenken, sei in Griechenland sehr positiv aufgenommen worden, berichtet Frohn.

Den Bundespräsidenten begleiten unter anderem der Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir von den Grünen, der türkische Reiseunternehmer Vural Öger und die Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John.