Berliner Zeitung, 1.4.2000

Lamers warnt vor Diskriminierung der Türkei

CDU-Politiker will keine religiöse Debatte in der EU

Ruth Berschens

BERLIN, 30. März. Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Karl Lamers, hat seine Partei davor gewarnt, gegen den EU-Beitrittskandidaten Türkei mit religiösen Argumenten zu Felde zu ziehen. "Für das Nein zu einem EU-Beitritt der Türkei gibt es genügend politische Gründe, aber religiöse sollte man nicht anführen", sagte Lamers der "Berliner Zeitung" am Donnerstag. Hinweise auf den Islam würden zu Missverständnissen bei den in Deutschland lebenden Türken führen. "Sie könnten den Eindruck gewinnen, dass die Deutschen Moslems ablehnen", sagte Lamers. Außerdem bestehe die Gefahr, "dass sich die Türkei dadurch diskriminiert fühlt".

Lamers distanzierte sich damit von einer Äußerung des Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Friedrich Merz. Bei seiner ersten Auslandsreise als Fraktionschef hatte sich Merz in Brüssel gegen den EU-Beitritt der Türkei ausgesprochen und dies mit der islamischen Religion in der Türkei begründet.

"Antieuropäische Ressentiments"

Die Grünen warfen Merz deshalb eine "populistische Neuorientierung der Europapolitik" vor. Ebenso wie die CSU stelle nun auch die CDU die EU-Erweiterung in Frage, sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Kerstin Müller. "Hier werden antieuropäische Ressentiments ohne Rücksicht auf europapolitische Flurschäden bedient", sagte Müller. Mit Blick auf kommende Wahlkämpfe wolle die Union die wachsenden Ängste vor der Osterweiterung schüren. Lamers wies diese Kritik zurück. CSU-Chef Edmund Stoiber würden solche Absichten zu Unrecht unterstellt, versicherte Lamers.

Der außenpolitische Experte der Union unterstrich, dass er das EU-Beitrittsangebot an die Türkei ebenfalls für falsch halte, allerdings nicht aus religiösen Gründen. "Die politischen Voraussetzungen für den Beitritt zur EU kann die Türkei nie erfüllen", sagte Lamers. Er begründete dies damit, dass in der Türkei immer das Militär das letzte Wort haben werde. Mit den europäischen Vorstellungen von Demokratie sei dies nicht vereinbar. Die EU-Beitrittsperspektive sei deshalb "ein sehr riskantes Unterfangen, das mit einer tiefen Entfremdung und Enttäuschung zwischen der EU und der Türkei zu enden droht".