Frankfurter Rundschau, 31.3.2000

Bremer Unklarheiten oder: "Es ist verwerflich, auf der Behörde zu lügen"

Die Stadt wirft 500 Menschen Asylmissbrauch vor / Die Betroffenen fühlen sich falsch verstanden und pauschal diffamiert

Von Eckhard Stengel (Bremen)

Die Polizei habe "einen der größten Fälle von Asylmissbrauch in Deutschland" aufgedeckt, verkündete vor einem Monat stolz Bremens Innensenator Bernt Schulte (CDU), der sich gerne als Hardliner profilieren möchte. Jetzt gingen erstmals Beschuldigte gemeinsam mit deutschen Unterstützern vor die Presse. Ihre Version klingt anders.

Laut Innenbehörde leben in Bremen mehr als 500 Menschen (davon ein Großteil Kinder), die vor Jahren mit türkischen Papieren nach Frankfurt eingereist sind und als Kurden Asyl beantragten. Danach seien sie untergetaucht und hätten später in Bremen erneut um Asyl gebeten, diesmal als Staatenlose aus Libanon - in dem Wissen, dass sie dann nicht abgeschoben werden. Für die Behörde ist klar: Es sind türkische Staatsbürger, die unter keinen Abschiebeschutz fallen, also raus mit ihnen. "Wir sind keine türkischen Bürger", versichert dagegen ein 25-Jähriger, der mit zwölf Jahren nach Deutschland kam. Seine Familie habe wie andere staatenlose Kurden in Libanon gelebt, sei dann vor dem Bürgerkrieg in die Türkei geflüchtet und habe sich dort Papiere besorgt, um wenige Wochen später nach Deutschland weiterzufliehen. Auch andere Flüchtlinge und Asylberater bestätigen, dass Staatenlose türkische Pässe bekommen könnten: mittels Schmiergeld für den Dorfältesten oder über Fluchthelfer.

Ein 50-Jähriger erzählt, sein Großvater sei 1930 als verfolgter Kurde aus der Türkei nach Libanon geflüchtet. "Dort hatten wir einen ungeklärten Status." Im Bürgerkrieg seien elf Angehörige hingerichtet worden. Er selbst sei nach einem Jahr Haft direkt nach Deutschland geflohen, seine Familie mit Umweg über die Türkei.

Warum allerdings viele Flüchtlinge nicht schon in ihrem ersten Asylantrag darauf hinwiesen, dass sie verfolgte Staatenlose aus Libanon seien und nur für ihre Flucht falsche Papiere verwendet hätten, wird in dem Gespräch nicht ganz deutlich. Eine deutsche Betreuerin erklärt es so: Bei den ersten Anhörungen sei es für Unerfahrene nicht einfach, den Beamten so etwas klar zu machen. Einige hätten aber sehr wohl von Libanon erzählt. Dass die Flüchtlinge nur Sozialhilfe erschwindeln wollten, weisen sie zurück: "Viele wollen arbeiten, kriegen jedoch keine Arbeitsgenehmigung."

Die Bremer Polizei versucht unterdessen, mit diversen Hausdurchsuchungen weitere Beweise für ihren Betrugsverdacht zu sammeln. Betroffene berichten, ausgerechnet am islamischen Opfertag - "ein hohes Fest, vergleichbar mit Weihnachten" - hätten Polizisten um 6.30 Uhr eine Wohnung gestürmt, die Kinder aus dem Schlaf gerissen ("die haben einen Schock gekriegt"), Hochzeitsvideos und Schmuck sogar von Kindern mitgenommen, der Mutter Speichel entnommen und die Eltern für Fingerabdrücke und Fotos zur Wache gebracht.

Der Sprecher der Innenbehörde kann zu den Details der Durchsuchungen nichts sagen. Er bleibt beim Vorwurf des groß angelegten Betruges. Es sei "verwerflich, wenn man auf der Behörde lügt - egal, ob man dafür vielleicht subjektiv gute Gründe angeben kann".

Die Beschuldigten und ihre Unterstützer meinen dagegen, Flüchtlinge könnten nun mal "nicht wie Diplomaten reisen", und sie sind entsetzt, wie die Behörde hier "Pauschalvorwürfe" gegen eine ganze Gruppe erhebe - mit der Folge, dass vor allem die Bild-Zeitung jetzt gegen die "Asylbetrüger" hetze und die Kinder der Familien teilweise von Mitschülern beschimpft und bedroht würden.