Süddeutsche Zeitung, 31.3.2000

"Man muss das Volk vor dem Regime schützen"

Der deutsche Diplomat Hans von Sponeck über seine Kritik an der Fortdauer des Embargos gegen den Irak

Der deutsche Diplomat Hans von Sponeck hat sich am vorigen Sonntag offiziell vom irakischen Diktator Saddam Hussein verabschieden lassen. Im Gespräch mit Heiko Flottau in Amman verteidigt Sponeck das Treffen.

SZ: Fernsehzuschauer hatten den Eindruck, Sie hätten bei Ihrem Treffen mit Saddam Hussein zu wenig Distanz gezeigt.

Sponeck: Das kann ich nicht nachvollziehen. Ich habe Distanz bewahrt, ich war ernst. Und ich hatte die UN-Charta bei mir, die ich Saddam Hussein gezeigt habe. Das hatte Symbolcharakter. Ich wollte, dass er versteht, dass diese Charta für ihn genauso gilt wie für alle anderen. Das hat seine Wirkung nicht verfehlt.

SZ: Wie kam es zu dem Treffen, war es nötig und wem hat es genutzt ?

Sponeck: Es war nicht mein Vorschlag, den Präsidenten des Irak zu sehen. Die Zusammenkunft hat mir Gelegenheit gegeben, über die Situation der Zivilbevölkerung zu sprechen. Saddam Hussein äußerte die Meinung, die arabischen Nachbarn stünden auf seiner Seite. Er beschuldigte die USA, einen Keil zwischen die arabischen Völker treiben zu wollen.

SZ: Oft werden nur die Sanktionen für die Misere der Iraker verantwortlich gemacht. Liegt nicht die Ursache beim irakischen Regime ?

Sponeck: Ich habe niemals davon gesprochen, dass nur die Sanktionen zu der Katastrophe im Irak geführt hätten. Es ist eine Münze mit zwei Seiten. Die irakische Regierung trägt eine große Verantwortung. Aber: nach fast zehn Jahren ist die Realität auch die, dass die Sanktionen immer mehr an Gewicht gewinnen für die Leiden der Iraker. Dafür haben wir viele Beweise. Etwa den neuesten Unicef-Bericht, der den rapiden Anstieg der Kindersterblichkeitsrate dokumentiert.

SZ: Saddam baut Paläste, statt dieses Geld für seine Landsleute auszugeben.

Sponeck: Das wird von den Vereinten Nationen in keiner Weise beschönigt. Wir sind entsetzt darüber, dass nicht mehr Geld für Bildung ausgegeben wird. Wir hoffen, dass unser Druck die irakische Regierung veranlasst, Geld in die Bildung zu investieren. Allerdings ist die Behauptung falsch, Saddam verwende Einnahmen aus dem Programm "Öl für Lebensmittel" zum Bau seiner Paläste. Diese Gelder kommen aus dem illegalen Export von Diesel und aus anderen dubiosen Quellen. Das macht die Sache freilich nicht akzeptabler.

SZ: Wo haben Saddams Kriege und die Sanktionen die Iraker am meisten getroffen?

Sponeck: Nach fast zehn Jahren Sanktionen ist die Wiederbelebung des Bildungssektors entscheidend. Die Vorbereitung der jungen Menschen auf ein verantwortungsvolles Leben muss Priorität haben. Der unschuldigsten Gruppe, den Jugendlichen, muss schnell geholfen werden. Für Sonderprogramme auf dem Bildungssektor muss zusätzliches Geld bereitgestellt werden.

SZ: Haben die Vereinten Nationen auch die Aufgabe, die Iraker vor ihrem eigenen Herrscher zu schützen?

Sponeck: Das Programm "Öl für Nahrungsmittel" hat genau dies im Sinn. Man will Geld binden an Programme, die eine Zivilbevölkerung braucht. Man weiß aber auch, dass dieses Geld nicht ausreicht. Der Grundgedanke ist, die Bevölkerung vor Ausbeutung durch ein Regime zu schützen, das zumindest in den ersten Jahren der Sanktionen versucht hat, das Leiden der Bevölkerung politisch auszuschlachten.

SZ: Welchen Ausweg aus der Misere sehen Sie?

Sponeck: Man sollte die Verknüpfung der Waffenkontrollen mit dem Handelsembargo beenden. Es wird noch lange Zeit brauchen, bis das Problem der Waffen Saddams gelöst ist. So lange kann man die Zivilbevölkerung nicht leiden lassen. So lange kann man sie nicht mehr politisch missbrauchen. Natürlich muss die Aufhebung der Sanktionen mit einer strikten Waffenkontrolle verbunden sein. Derzeit sind die Grenzen aber so löchrig, dass alles ins Land kommt, was der Irak will.

SZ: Wie lange kann die Bevölkerung die derzeitige Situation noch ertragen?

Sponeck: Ich habe immer wieder gestaunt über die Fähigkeit der Iraker, tolerant zu bleiben, und über ihre Zähigkeit zu überleben. Irgendwann aber ist jedes Glas voll. Schon heute kann man sagen, dass eine ganze Bevölkerung in die Knie gezwungen wird, dass es jeden Tag mehr Menschen gibt, die abstumpfen und keinen echten Lebenskampf mehr führen wollen. Junge Menschen, die sich auf ein verantwortungsvolles Leben vorbereiten sollten, werden sich womöglich wieder willfährig einem Führer unterwerfen, weil sie keine Kraft mehr haben, sich gegen ihr Schicksal zu stemmen.