Basler Zeitung (CH), 31.3.2000

Böse Schlappe für Ecevit - vor Rücktritt?

Istanbul. Der türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit hat gestern Donnerstag seinen Rücktritt nicht ausgeschlossen. Am Vorabend hatte die Regierung beim Versuch, durch eine Verfassungsänderung dem amtierenden Staatspräsidenten Süleyman Demirel eine zweite Amtszeit zu ermöglichen, eine herbe Abstimmungsniederlage einstecken müssen. Ecevit will nun das Ergebnis der zweiten Abstimmungsrunde in der kommenden Woche abwarten.

Wertlose Unterschriften

Er hatte in den vergangenen Monaten die Verfassungsänderung denkbar gut vorbereitet. Die Ausdehnung der Amtszeit des Staatspräsidenten von einmal sieben Jahre auf zweimal fünf Jahre war verknüpft mit zwei anderen Verfassungsänderungen. Die eine erschwert ein Parteienverbot und war als Lockvogel für die davon schon wieder bedrohten Islamisten gedacht, die zweite ermöglichte eine Anhebung der Pensionsansprüche der türkischen Parlamentarier. Ausserdem hatte sich Bülent Ecevit die Unterschrift von 403 der 550 türkischen Abgeordneten geholt, die versprachen bei der geheimen Abstimmung für das Paket zu stimmen. Auch vier der fünf im Parlament vertretenen Parteiführer hatten unterschrieben. Doch in der Abstimmung unterstützten nicht einmal die 352 Abgeordneten der Regierungskoalition die Verfassungsänderung. Mit nur 253 Ja-Stimmen erreichte der Entwurf nicht einmal 50 Prozent der Stimmen, geschweige denn die vorgeschriebene Zweidrittelmehrheit. Abgelehnt wurde die Vorlage von 236 Abgeordneten.

Anap hat selbst Aspirationen

Mit anderen Worten: Ecevit, der die Regierungskoalition aus seiner Demokratischen Linkspartei (DSP), Devlet Bahcelis Partei der nationalistischen Bewegung (MHP) und Mesut Yilmaz' konservativer Mutterlandspartei (Anap) neun Monate lang souverän dominiert hatte, kann sich des eigenen Lagers in wichtigen Abstimmungen nicht mehr sicher sein. Die heimliche Opposition kommt dabei sowohl aus den Reihen der Anap als auch aus jenen der MHP. Die Anap, welche gerne ihren eigenen Vorsitzenden Mesut Yilmaz als Kandidaten für das Amt des Staatspräsidenten sehen würde, war ohnehin nur mit Mühe zur Zustimmung zu einem Gesetz zu überreden, das Demirel eine Wiederwahl ermöglicht. Doch um die Niederlage der Regierung zu erklären, reicht dies nicht aus: Auch in der bei vielen Entscheidungen von Ecevit gegen den Strich gebürsteten MHP muss es eine Reihe von Verweigerern gegeben haben.

Mit Islamisten verhandeln

Will Ecevit nicht auf das ganze von ihm mit so viel Aufwand betriebene Vorhaben der Wiederwahl Demirels verzichten, so wird er wohl oder übel mit den Islamisten verhandeln müssen. Diese waren nämlich mit der Erschwerung des Parteiverbotes alleine nicht zufrieden und möchten noch eine Änderung des Strafrechts, die eine Rückkehr des mit Politikverbot belegten Islamistenführers Necmettin Erbakan ermöglichen würde. Für Ecevit, der im Einklang mit dem Willen des Militärs die Islamisten, so gut es geht, aus der Politik heraushalten will, ist das eine dicke Kröte. Ausserdem ist auch die MHP gegen eine Liberalisierung des politischen Strafrechts. Ob also Ecevit sein Verfassungspaket am kommenden Mittwoch doch noch durchbringt oder ob die Türken nach rund 40 Jahren Süleyman Demirel als aktivem Politiker nun doch Ade sagen müssen, ist daher sehr ungewiss. Doch diese Frage wird bereits durch eine andere verdrängt: Wie kann eine Regierung weiter funktionieren, die sich nicht einmal auf die schriftliche Zusage ihrer Parteiführer und Abgeordneten verlassen kann. Offenbar ist die lange Zeit erfolgreiche politische Regie Ecevits gescheitert. Türkische Medien bezeichneten das Ergebnis der Abstimmung als Katastrophe und sprachen von einer Krise; die liberale Massenzeitung «Milliyet» spekulierte bereits über Ecevits Rücktritt. Die Börse in Istanbul reagierte am Donnerstagmorgen mit deutlichen Kurseinbrüchen.

Jan Keetman