Frankfurter Rundschau, 31.3.2000

Türkische Regierung gerät in Schwierigkeiten

Abstimmungsniederlage für Ecevit im Parlament / Entscheidung über Verfassungsänderung in der nächsten Woche

Von Gerd Höhler

Premier Bülent Ecevit hat mit dem Versuch, dem konservativen Staatspräsidenten Süleyman Demirel per Verfassungsänderung eine zweite Amtszeit zu ermöglichen, vorerst Schiffbruch erlitten. Die türkische Drei-Parteien-Koalition steht nun vor der schwersten Belastungsprobe seit ihrer Bildung vor zehn Monaten.

ATHEN, 30. März. Bei der ersten, geheimen Abstimmung haben am Mittwochnachmittag nur 253 der 550 Abgeordneten für die Verfassungsänderung gestimmt, 236 sprachen sich dagegen aus. Zur Verabschiedung der Präsidialreform sind bei der entscheidenden Schlussabstimmung, die nächste Woche stattfinden soll, mindestens 367 Stimmen erforderlich. Das Abstimmungsergebnis vom Mittwoch zeigt, dass auch viele Abgeordnete der drei Koalitionsparteien gegen Ecevits Vorlage votiert haben müssen, denn die Regierung verfügt im Parlament über 352 Stimmen. Bei der Reform geht es darum, die siebenjährige Amtszeit des Präsidenten durch die Möglichkeit zweier Amtszeiten von je fünf Jahren zu ersetzen.

Ecevit äußerte sich am Donnerstag vor seinem Abflug zu einem Staatsbesuch in Indien "besorgt über die politische und wirtschaftliche Stabilität". Er werde während seiner viertägigen Reise "über alles nachdenken, auch über die Zukunft dieser Regierung", und rate seinen Koalitionspartnern, das Gleiche zu tun.

Die Istanbuler Börse reagierte am Donnerstagmorgen mit einem anfänglichen Kurssturz von mehr als sieben Prozent auf die Abstimmungsniederlage der Regierung. Die Anleger fürchten offenbar um den Bestand der Koalition und sehen damit Gefahren für das erst kürzlich von Ecevit mit dem Internationalen Währungsfonds ausgehandelte wirtschaftliche Sanierungsprogramm.

Den oppositionellen Islamisten, auf deren Unterstützung Ecevit bei der Verfassungsänderung angewiesen ist, hatte der Premier ihre Zustimmung mit einigen Zugeständnissen abzuhandeln versucht. So soll das Verbot von Parteien, wie es derzeit auch der islamistischen Tugend-Partei (FP) droht, erschwert werden.

Zu dem von Ecevit geschnürten Reformpaket gehört auch eine Gesetzesänderung, die den Parlamentariern höheres Ruhegeld sichern soll. Aber die Islamisten wollen der Regierung weitere Zugeständnisse abhandeln. Kommt Ecevit der FP allerdings zu weit entgegen, riskiert er Konflikte mit den mächtigen Militärs.

Bedrohlich ist für Ecevit aber vor allem der Widerstand, den große Teile der mitregierenden Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) seiner Verfassungsänderung entgegensetzen. Während der Premier hofft, mit einer zweiten Amtszeit Demirels seiner Koalition die bei der Suche nach einem Nachfolger drohende Zerreißprobe zu ersparen und dem Land innere Stabilität zu sichern, könnte die rechtsradikale MHP auf Neuwahlen spekulieren, mit dem Ziel, stärkste Partei zu werden.