Berliner Kurier, 30.3.2000

Werthebach übernimmt den Verfassungsschutz

Von Gerhard Lehrke und Martin Lutz

BERLIN - Der skandalumwitterte Berliner Verfassungsschutz wird Innensenator Eckart Werthebach (60, CDU) direkt unterstellt und in seine Verwaltung eingegliedert.

Das bestehende Landesamt (LfV) wird aufgelöst und als Abteilung der Innenverwaltung eingegliedert. Werthebach: "Das hat den Vorteil, dass dann eine direkte Aufsicht durch mich möglich ist."

Hintergrund der Auflösung ist die Pannenserie beim Amt (siehe Kasten), auch wenn Werthebach das offiziell bestreitet.

Dem Vernehmen nach soll die Neuorganisation zum Juli über die Bühne gehen, wenn der Verfassungsschutz von der Clayallee (Zehlendorf) in die Potsdamer Straße (Schöneberg) umzieht und der glücklose LfV-Chef Eduard Vermander (62) in den Ruhestand geht.

Berlins Verfassungsschutz (242,8 Personalstellen) hat einen Jahresetat von 21,3 Millionen Mark. Davon stehen laut Vermander nur "1,16 Millionen Mark für operative Einsätze"zur Verfügung.

Die Auflösung des Amtes kann Geld sparen: Vermander wird nach der Gehaltsstufe B 5 bezahlt (rund 160000 Mark im Jahr), die meisten Abteilungsleiter nach B 3 (140 000 Mark).

Verfassungsschutz und seine Skandale Der Berliner Verfassungsschutz hat eine lange Skandal-Chronik:

Er hatte keine Ahnung von der Gefahr einer Erstürmung des israelischen Generalkonsulats durch Kurden im Februar 1999.

Ohne Beweise diffamierte das Amt den Polizeidirektor Otto Dreksler als Scientologen. Berlin zahlte 35000 Mark Schmerzensgeld.

Der auf Dreksler angesetzte V-Mann war einst für die Stasi tätig. Nach dessen "Abschaltung" erklärte der damalige Innenstaatssekretär Kuno Böse (CDU) Mitte 1999, dass das LfV keine ehemaligen Stasi-Leute mehr beschäftige. Jetzt kam heraus, dass mindestens der V-Mann "Förster" noch im Einsatz war. Der Ex-Stasi war auf die PDS angesetzt...

Frankfurter Rundschau, 30.3.

Der Kampfanzug passt wie angegossen

Jörg Schönbohm, den sie "Rambo aus Brandenburg" nennen, will auf dem Ticket der Rechten ins CDU-Präsidium

Von Karl-Heinz Baum (Berlin)

Vor 39 Jahren nahm der 24-jährige Jörg Schönbohm bei der Bundeswehr am "Freizeitwettbewerb für Leutnante und Oberleutnante" teil. Er suchte eine Antwort auf die Frage, ob der folgende Spruch des norddeutschen Schriftstellers Theodor Storm aus dem Jahre 1817 auch für den Soldaten gilt: "Der eine fragt: Was kommt danach? Der andere fragt nur: Ist es recht? Und also unterscheidet sich der Freie von dem Knecht." Schönbohms Text hat der Jury gefallen. Der Leutnant wurde ausgezeichnet und erhielt 300 Mark - damals viel Geld. 250 Mark gab es extra, weil der Aufsatz auch gedruckt wurde. Noch heute schaut er gern in das Büchlein Leutnante heute mit seiner und anderen Arbeiten und findet, seine Grundüberzeugungen braucht er kaum zu ändern. Kern des Stormschen Spruchs ist in Schönbohms damaligen Worten: "Nur der Mensch aber kann frei sein, der sein Handeln unter das Recht stellt." Nur ein Knecht wäge sein Handeln nach den für ihn vorteilhaften Folgen ("Was kommt danach?") ab. Der Berufssoldat habe sich "aus freien Stücken entschieden, für die Freiheit einzustehen, ihr zu dienen und für sie sein Leben einzusetzen". Schlagworte wie "Lieber rot als tot!" oder "Willst du den Atomtod sterben oder lieber in Knechtschaft leben?" - "von verhetzten oder unrealistischen Wehrdienstgegnern, Pazifisten oder politischen Opportunisten immer wieder unter die Massen geschleudert", existierten für den Soldaten nicht, meinte Leutnant Schönbohm.

Heute ist der 62-jährige gebürtige Brandenburger, der seit seinem siebten Lebensjahr in Hessen aufwuchs, Vize-Ministerpräsident und Innenminister in Brandenburg. Nach einer lupenreinen Bundeswehrkarriere bis zum Generalleutnant und der Zeit als Staatssekretär im Verteidigungsministerium schied er 1996 aus der Armee aus und ging als Senator nach Berlin. Schönbohm ist ein politischer Spätentwickler. An den markigen Worten ist auch heute der Ex-Offizier noch gut zu erkennen, etwa als er nach dem Friedens-Abkommen von Dayton bosnischen Bürgerkriegsflüchtlingen empfahl, besser in der Heimat "Hand anzulegen als hier die Hand aufzuhalten". Das kam auf der rechten Seite gut an.

Auch dieser Tage hat der Berufssoldat einen Begriff aus der Kaserne in die Politiksprache eingeführt. Der Newcomer hat längst gelernt, wie gut drastische Worte in der Mediengesellschaft ankommen. Auf der Berliner Regional-Konferenz riet er den Leuten an der CDU-Spitze im militärischen Jargon, "das Büßerhemd abzustreifen und den Kampfanzug anzuziehen". Der Parteibasis sprach Schönbohm aus dem Herzen, ist sie doch längst öffentlicher Kritik wegen der Finanzaffären überdrüssig. Die künftige Vorsitzende Angela Merkel, die den Militärjargon nicht verwendet, blickte indes süß-säuerlich drein. Schönbohm bescherte der Partei ein geflügeltes Wort; nicht nur CSU-Chef Edmund Stoiber hat es begierig aufgenommen. Manche in der Unionsfraktion flachsen: "Wir gehen nur noch im Kampfanzug ins Bett." Sie sind froh, dass Schönbohm, seit er vom "Kampfanzug" spricht, nicht mehr so oft wie zuvor sagt, was er vom Finanzgebaren der Herren Kohl und Kanther hält: "Sauereien, Schweinereien".

Dass Schönbohm ein Kämpfer ist, musste 1999 Brandenburgs SPD unter Manfred Stolpe erfahren. Mit einer darniederliegenden CDU brachte der neue Landeschef eine sieggewohnte SPD an Elbe, Havel und Spree auf die Verliererstraße: Nach einem SPD-Minus von 15 Prozent und dem eigenem Plus von acht Prozent regiert er jetzt mit; manche sehen ihn schon als nächsten Regierungschef. Für ihn gibt es nur einen Grund, warum Brandenburgs Menschen seit der Einheit mehrheitlich SPD wählten: wegen Stolpe. Sollte jener nach jetzt bald zehn Jahren Amtszeit aufhören, wird Schönbohm den Griff zur Macht in Potsdam wagen.

Doch einer, der nicht erst bei Storm gelernt hat, dass sich Freiheit auf Recht gründen muss, strebt zu Höherem. Den jahrelang zerstrittenen Landesverband hat er ruhig gestellt. Die Neuwahl auf dem CDU-Parteitag in Essen soll ihn ins Präsidium befördern. Dort möchte er als Innenpolitiker das Profil der Union schärfen, als Älterer in der jungen (CDU-)Garde.

Schönbohm weiß nur zu gut, dass die CDU seit dem unrühmlichen Abgang des früheren Bundesinnenministers Kanther ein thematisches Loch und eine personelle Lücke zu füllen hat. Er vertritt in der Rechts-, Sicherheits- und Innenpolitik Positionen, die mit denen Kanthers "weitgehend übereinstimmen", das will er auch in der Parteispitze tun. Ob beim Asylrecht oder bei der Videoüberwachung, seine Äußerungen beunruhigen liberale Innenpolitiker der Union. Sie wünschen nicht, dass ihre Partei dauerhaft etwa mit dem Sturmlauf gegen ein neues Staatsbürgerschaftsrecht identifiziert wird, auch wenn dies der Partei in Hessen einen Wahlerfolg bescherte. Den Sturmlauf Schönbohms zur CDU-Spitze werden liberale CDU-Leute aber kaum aufhalten. Denn nach Kohls Abgang sehnen in der Union nicht wenige eine starke Führungsfigur herbei. Ihnen kommt der "Rambo aus Brandenburg" gerade recht. Zudem sehen sie in ihm eine Figur, die dem rhetorisch gewandten Innenminister Otto Schily (SPD) "kraftvoll und rechtzeitig entgegentreten" kann.

Schönbohm hat nach Meinung vieler in der Bundespartei mit dem Spruch vom "Kampfanzug" frühzeitig zum Aufbruch geblasen und verunsicherten Mitgliedern zur rechten Zeit das rechte Wort gesagt. Er selbst fragt sich, ob er "überhaupt ein Konservativer" sei und antwortet: "Das nennt man wohl so, wenn einer für Freiheit und Verantwortung ist." Als "Law-und-Order-Mann" zu gelten, sieht er nicht als Nachteil. Um so weniger kann er nachvollziehen, dass einer wie Kanther mit seinen hohen Moral-Maßstäben so tief in die Affäre verwickelt sein konnte.

"Ohne den Skandal wäre ich nicht angetreten", versichert er. Er setzt auf den rechten Flügel der Partei, der ohnehin eine Ergänzung zur "protestantischen" Merkel sucht. In seinen Worten hört sich das so an: "Es ist sehr vernünftig, die Last auf mehrere Schultern zu verteilen. Absprachen für mich gibt es nicht, die machen auch keinen Sinn bei 14 brandenburgischen Delegierten von insgesamt über 1000. Ich will den Parteitag überzeugen."

Die rechte CDU-Klientel freut, wenn Schönbohm wie auf dem von ihm auch in Brandenburg ins Leben gerufenen "Politischen Aschermittwoch" mal so richtig gegen die neuen, rot-grünen Großkopfeten der Bundespolitik vom Leder zieht. Im Sängerstädtchen Finsterwalde sagte er im Festzelt der CDU über den grünen Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele, der im Untersuchungsausschuss des Parlaments zur Spendenaffäre die wohl schärfsten Angriffe gegen die Union führt, jener habe "vor Jahren Gefängniserfahrung gesammelt und als RAF-Anwalt fungiert". Ihm werde übel, wenn sich "Krawall-Juristen gar zu Gralshütern unserer Verfassung aufschwingen wollen". Dann kam der Höhepunkt der Rede: "Ströbele als Hohepriester der öffentlichen Moral, Müntefering sein Messdiener, und Joschka transportiert keine Pistolen mehr, sondern trägt den Klingelbeutel."

Wird Schönbohm ins Präsidium gewählt, will er nicht nur über Asyl oder Kriminalität reden. Sätze zur geplanten Green Card für ausländische Informationstechniker, die er für einen klugen Schachzug der rot-grünen Regierung hält, um doch noch zum Einwanderungsgesetz zu kommen, reichen ihm nicht. Er will eine allgemeine Debatte anzetteln über die Werte der Gesellschaft und was sie zusammenhält von der Familie bis zum Shareholder-Value, der "keinesfalls die bestimmende Größe der Gesellschaft werden darf".

Schon in Leutnante heute sagte er 1961, Storm interpretierend: Toleranz könne nicht heißen, "alle gewähren lassen". Denn "mit der Freiheit des Menschen ist auch seine Verantwortlichkeit gegeben". Der Autor erinnerte an Mathias Claudius: "Der ist nicht frei, der da will tun können, was er will, sondern der ist frei, der da wollen kann, was er tun soll." Und an Montesquieus "Freiheit ist das Recht, alles zu tun, was die Gesetze erlauben". Auf diesen Konsens will Schönbohm die Gesellschaft einschwören.