Stuttgarter Zeitung, 27.3.2000

¸¸Das Thema Zuwanderung steht auf der Tagesordnung''

Die Ausländerbeauftragte Marieluise Beck über die Greencard, das Asylrecht und die Ausländerfeindlichkeit in Ostdeutschland

Der Plan der Bundesregierung, ausländischen Arbeitskräften in der Computerbranche Greencards auszustellen, hat eine Debatte über ein neues Zuwanderungsgesetz ausgelöst. Die Ausländerbeauftragte der Regierung, Marieluise Beck (Bündnis 90/Die Grünen), begrüßt den weitgehend freundlichen Ton der Debatte. Im Gespräch mit Andreas Bahner und Stefan Braun warnt sie aber davor, dass die Stimmung schnell wieder umschlagen könne.

Kinder statt Inder - ist das ein gelungener, ein zulässiger Wahlkampfslogan?

Das ist kein zulässiger Wahlkampfslogan. Das ist ein Abschreckungsslogan. Als solcher ist er gedacht. Und er appelliert - wie immer in Ausländerdebatten - an Stimmungen, an den Bauch. Mit diesem Slogan wird ein Gegensatz aufgebaut zwischen dem positiv-deutschen, dem deutschen Kind, und dem ausländischen Zuwanderer. Insofern ist es einer der vielen Bausteine - manche sind sublimer, manche gröber -, die zu Fremdenfeindlichkeit führen.

Ist die Vorstellung, mittels einer Greencard Ausländer für eine befristete Zeit nach Deutschland zu holen, gelungen?

Zunächst einmal ist etwas passiert, was man vor einem Jahr kaum für möglich gehalten hat: dass überhaupt das Thema Zuwanderung wieder auf die Tagesordnung kommt. Vor einem Jahr ist dieses Thema im Zusammenhang mit der Doppelpass-Debatte und einem umstrittenen Interview von Innenminister Otto Schily, wo es um die Frage von Zuwanderung ging, schon einmal aufgeblitzt. Damals aber gab es fast niemanden, der bereit war, auch nur perspektivisch positiv über Zuwanderung zu sprechen. Ich kann mich erinnern, dass ich mich damals schon etwas einsam fühlte, selbst in der Koalition. Dass aus dem Greendcard-Vorschlag jetzt faktisch über Nacht eine weitgehend positiv begleitete Zuwanderungsdebatte geworden ist, ist absolut erstaunlich. Es zeigt, wie wenig wir in Fragen von Zuwanderung und Migration mit Fakten zu tun haben und wie stark es um Gefühle geht. Nur Gefühle können sich über Nacht so verändern.

Wie erklären Sie sich diesen Stimmungsumschwung?

Weil der Vorschlag aus einem bestimmten gesellschaftlichen Umfeld kommt und auf eine bestimmte Migrantengruppe gerichtet ist. Die IT-Branche ist das Signal für modern, für Fortschritt. Mit ihr verbindet sich eine gute Ausbildung bis hin zur gesellschaftlichen Elite. Und das wird verbunden mit einer Zuwanderungsgruppe wie Indern, von denen wir wissen, dass es in Bangalore unglaublich hoch qualifizierte, strebsame und anpassungsfähige junge Menschen gibt. Beide Aspekte haben im Augenblick die Stimmung um 180 Grad drehen lassen, hin zu einer positiven Seite.

Sind Sie glücklich über diese Entwicklung?

Das kann einen erfreuen, kann einen gleichzeitig aber auch skeptisch machen, weil Stimmungen, die so schnell kippen können - von einer Seite zur anderen - sich eben ebenso schnell wieder ändern. Ich würde deshalb nicht auf die Belastbarkeit dieser Stimmung vertrauen.

Den positiven Stimmungsumschwung könnte man nutzen, um ein Zuwanderungsgesetz durchzusetzen. Was halten Sie davon, auch wenn das mit einer Schwächung des Asylrechts - weg von einer Verfassungs-, hin zu einer institutionellen Garantie - verbunden wäre?

Genau diese Debatte haben wir ja schon geführt, als die FDP in der letzten Legislaturperiode einen entsprechenden Vorschlag eingebracht hatte. Das hat damals wenig öffentliche Aufmerksamkeit erfahren, es war eine Debatte, die in einer kleinen Nische geführt worden ist, weil die Stimmung dafür nicht da war. Aber wir haben schon damals gesagt, allein der Begriff spricht eine deutliche Sprache. Man hätte es auch Zuwanderungsgestaltungsgesetz nennen können. Es geht immer um die Gestaltung von Zuwanderung. Aber mit dem Begriff Zuwanderungsbegrenzung ist etwas anderes signalisiert. In den damaligen Zeiten sollte durch den Vorschlag vor allem das Gefühl vermittelt werden: Wir sorgen dafür, dass nicht so viele ausländische Menschen zu uns kommen. Laut FDP-Entwurf sollte die Art von Zuwanderung, die wir im Augenblick auf Grund von gesetzlichen Vorgaben haben - die Aufnahme von Schutzbedürftigen, völkerrechtlich und grundgesetzlich abgesichert -, als auch Familienzusammenführung verrechnet werden mit anderen gewünschten Zuwanderergruppen, also Arbeitsmigranten, die im nationalen Interesse nach Deutschland kommen. Es deutet sich bereits an, dass man meint, jetzt sei die Gelegenheit günstig, noch einmal die lästige Asylfrage auf die Tagesordnung zu setzen und sie zusammenzubinden mit einer Zuwanderungsdebatte. Man will ein Paket schnüren, wo die national gewollte Zuwanderung in Gesetzesform gepackt wird - in diesem Bereich Zugänge eröffnet werden, um im gleichen Atemzug die Zugänge für jene, die hier nicht erwünscht sind, restriktiver zu fassen. Meiner Ansicht nach muss jeder, der so etwas will, zugeben, dass Deutschland dann sowohl die Genfer Flüchtlingskonvention kündigen als auch das eigene Grundgesetz ändern muss.

Wird mit den jetzigen Greencard-Plänen nicht eine massive Ungleichbehandlung geschaffen: für die IT-Branche ja, für andere Branchen nein?

Es ist alles nicht neu. Seit den fünfziger Jahren haben wir gab es in Deutschland immer Arbeitsmigranten. Und als schließlich ein Anwerbestopp beschlossen wurde, ist eine Ausnahmeverordnung gleich mit beschlossen worden. Und wir haben abhängig vom Bedarf in bestimmten Bereichen weiter Arbeitskräfte angeworben. Das waren nicht nur Spezialisten mit Fachhochschulstudium, sondern beispielsweise zigtausende Krankenschwestern von den Philippinen. Ich glaube - und da kann man nur sagen Chapeau, gut eingefädelt -, dass die IT-Branche diesmal mit einer guten Öffentlichkeitsarbeit, mit dem hohen Ansehen, das sie hat, mit der Prosperität, die sie verspricht, besonders günstige Karten hatte, ihre Interessen durchzusetzen. Natürlich melden sich jetzt andere Branchen zu Wort: so haben beispielsweise die Handwerkskammern in Süddeutschland Greencards für Bosnier gefordert. Es wird zu einer ganz großen Herausforderung, eine Balance zu finden zwischen nationaler Beschäftigungspolitik, nationaler Aus- und Weiterbildung und einer Mobilität über die Grenzen hinweg, der wir uns nicht entziehen können.

Ist die Greencard die Lösung?

Das jetzige Modell entspricht weitgehend der Logik des Rotationsprinzips. Das wäre ein Déjàvu - mit allen Fehlern, die man in den fünfziger Jahren bei der Anwerbung von Gastarbeitern gemacht hat. Noch heute haben wir an den Problemen der ersten Generation der Gastarbeiter zu beißen, beispielsweise weil wir ihnen nie ein anständiges Angebot zum Erwerb der deutschen Sprache gemacht haben. Mit anderen Worten: die Greencard geht nicht ohne eindeutige Bemühungen und Angebote für eine Integration.

Zum Thema Gewalt gegen Ausländer: Ist das wirklich ein ostdeutsches Phänomen?

Ich erinnere an Mölln und Solingen, Guben und Rostock - es hat überall Brennpunkte gegeben, im traurigen wahrsten Sinne des Wortes. Insofern kann ich nachvollziehen, wenn man sich im Osten über Verallgemeinerungen ärgert. Und dennoch: Es gibt im Osten ein sehr weit verzweigtes rechtsradikales Denken, das an bestimmten Stellen, in Ortschaften anfängt, hegemonial zu werden.

Was heißt das?

Ich lerne, dass es Schulen gibt, in denen Schüler, die sich eher kosmopolitisch verstehen und gegen Ausländerfeindlichkeit agieren würden, bedrängt werden. Sie wollen sich für eine offene Gesellschaft engagieren, müssen sich aber zurücknehmen, weil sie nicht die Mehrheit haben, weil sie sogar Angst haben müssen, dass ihnen eins übergebraten wird. Das ist noch nicht unbedingt gewalttätig. Das hat noch nichts mit den Glatzköpfen zu tun. Es ist das, was ich als geistig hegemonial bezeichen würde. Entsprechendes wird mir viel geschildert, von Eltern, von Lehrern, von jungen Menschen. Und es handelt sich dabei oft - entgegen gängiger Klischees - um ein gut ausgebildetes Milieu, das das Internet für seine gefährliche Sache zu nutzen weiß. Das ist absolut besorgniserregend. Und die Ursachen sind vielfältig. Besonders wirkt sich ein strenges hierarchisches Denken aus, das auch nach der Wende in den Köpfen geblieben ist. Hinzu kommt, dass es keine zivilgesellschaftlichen Strukturen gab und viele persönliche Lebensperspektiven kaputtgegangen sind, verbunden mit tiefen Enttäuschungen, die auch viele Eltern auf ihre Kinder übertragen haben.

Was muss geschehen?

Politik setzt eigene Maßstäbe, wenn sie anfängt, in diesen Fragen zu wackeln. Eindeutige Antworten also sind von größter Bedeutung. Wobei übermoralisierende Aussagen sicher auch kontraproduktiv sein können. Wichtig: Sich stellen, bestimmte Aussagen nicht zulassen, Grenzen setzen - all das ist sicherlich sehr wichtig. Wie verhalten sich Lehrer, wie agiert der Bürgermeister, was machen die Kirchen?

Sehen Sie, dass Politik wackelt?

Eigentlich nicht - wobei es fließende Grenzen gibt. Wenn die Union reklamiert, ihre Unterschriftenaktion sei für die Integration der Ausländer gewesen, kann man nicht wegdiskutieren, dass es mit dem Mittel der Unterschrift auch die Botschaft gab: Hier kannst du dich wehren. Das sind Grenzüberschreitungen. Und das gilt auch für den Ausspruch: Kinder statt Inder.